Tagebuch von Marnek Espenhain
Zeit der Ritter I

Tagebuch Marnek

Die schlimmsten Kältetage hatten die Norbaden sich in ihren Wagen verschanzt, aber ihre Hilfe bei der Instandhaltung der Schmiede und des Schlosses, die sie im Gegenzug für das Winterquartier freiwillig leisteten war fast unbezahlbar. Geschickte Handwerker waren sie in jedem Fall, da konnten andere Leute über dieses Völckchen sagen was sie wollten. Ich lud  sie daher direkt ein, auch im nächsten Winter gerne jederzeit wieder bei mir halt zu machen.

Im Frühjahr erwachte das Bornland zu neuem Leben. Und auch Nasja schien das wiedererwachende Leben zu inspirieren. Der Seemond, der es ihr wirklich angetan hatte, schien ihr ebenfalls eigene Ideen zu geben, sie war einige Tage richtig abgelenkt. Ihr Blick schweifte immer wieder vom Bild nach oben zur Decke. Schließlich erläuterte sie mir ihren Plan, den Seemond quasi in die Dritte Dimension wie sie es nannte nach oben zu verlängern. Dazu malte sie schon fleißig Skizzen, ohne dass ich überhaupt etwas dazu gesagt hätte oder anscheinend zu sagen hatte. Aber was sollte ich sie in ihrer Kreativität auch bremsen? Einen Haken hatte das ganze am Ende aber doch. Sie würde für ihr Werk  leuchtende Farben benötigen. Ein leuchtendes Rot wie das letzte, das schon fast verbraucht war, ein kräftiges Blau wie der Himmel zur Mittsommerwende und ein Gelb wie reifes Korn. Damit wollte sie das Schloss mit Inspiration erfüllen und einen Hauch ihres Schaffens hinterlassen. Gerade in der Eingangshalle und dem Treppenhaus, den Raum den man als erstes sieht, wollte sie leuchten lassen und meine Gäste beeindrucken. Natürlich würde es kein Seemond werden, das war ihr selbst klar, aber wenn sie mit ihren Freunden zusammen arbeitete, meinte sie etwas ähnliches schaffen zu können. Das Rot sollte Fredo hinbekommen meinte sie, aber natürlich wusste sie nicht was dessen Hauptzutat war. Das könnte sie vielleicht etwas schockieren, denn günstig würde eine größere Menge in dieser Farbe nicht werden. Das Gelb sollte man wahrscheinlich aus Festum bekommen. Die Alchimisten des Salamanders hatten da wohl ein spezielles Ocker, mit dem man das herstellen konnte. Und das Beste Blau gäbe es in Neersand. Fredo besaß wohl einmal einige Bröckchen von denen sie lange hatten zehren und etliche Werke schaffen können. Aber da es sich hier wohl um den Grundton des geplanten Werkes handelte würde sie nicht nur ein bisschen, sondern viel blaue Farbe benötigen. Und von dem Gelb wahrscheinlich nicht minder viel. Ich konnte dieser Frau den Wunsch quasi nicht abschlagen und versprach ihr, die Farben in Festum und Neersand zu besorgen. Ein kleiner Ausflug würde uns nach dem Winter sowieso gut tun. Sie versprach mir, wir würden uns spätestens zum nächsten Winter hier im Schloss wiedersehen, aber wenn es nun taut, etwas vor Anfang Peraine, wollte sie zurück nach Ouvenmas gehen. Die Norbaden waren sogar etwas früher aufgebrochen, eine Sippe nach Süden, die andere nach Norden. Sie hatten reichlich Handelswaren über die ruhigen Wintertage hergestellt, mit denen würden sie nun über den Sommer ihren Lebensunterhalt verdienen. Dann war es das erste Mal in diesem Winter ruhig auf Schloss Strobanoff. Ein paar Tage die Ruhe genießen war jetzt auch nicht verkehrt, aber irgendwie hatte ich mich an diese Zeit in Gesellschaft schon richtig gewöhnt.

Melham hatte den ganzen Winter nichts anderes zu tun als mit dem Bogen zu schießen, was beim Jagen zumindest produktiv gewesen war und uns reichlich Wild einbrachte. Also war der Kerl doch zu etwas Nutze. Und er versuchte sich ständig in ihren Zungen mit den Orks und Goblins zu unterhalten, mit denen kam er schließlich, nachdem sie sich an ihn gewöhnt hatten, erstaunlich gut aus. Ich war mir nicht sicher, ob er bei einem oder sogar beiden Rassen nicht eine Freundin hatte, ich meine riechen tat er ja selbst wie ein Ork. Anfang Peraine brach ich dann mit Melham und Jucho nach Festum auf, von dort sollte es weiter nach Neersand gehen. Jucho meinte, für die Kutsche bräuchte ich noch ein paar weitere Zugtiere. Am besten Pferde, aber für langsame Reisen würden auch Maultiere oder Ochsen gehen. Auf dem rückweg zum Schloss  würde ich also einen Viehmarkt besuchen müssen. Mir persönlich würden ja Nashörner oder Mammuts besser gefallen. Oder Widder. Aber das schien Jucho zu abwegig. Er bezweifelte, dass sich ein solches Gespann lenken ließ. Ich hingegen dachte wieder einmal an MaLuf, den alten Schlawiner, der immer noch nicht zurück und anscheinend mit dem Nashorn durchgebrannt war.

Den Weg nach Festum kannten wir ja mittlerweile ausreichend gut. Das Frühjahr schien friedlich zu sein, nur noch etwas kühler als ich eigentlich gedacht hatte. Väterchen Firun hatte das Land weiter im Griff, aber der milde Hauch seiner Schwester würde sich sicher trotzdem bald durchsetzen. Unsere Reise verlief ruhig und wir kamen Mitte Peraine in Festum an. Wir wären ja viel schneller gewesen, wenn Jucho und Melham nicht nach wie vor Fußgänger wären. Die beiden sollten mal etwas Geld zur Seite legen um sich Reittiere zu kaufen. Den Ocker bekam ich bei den Alchemisten ohne Probleme zu kaufen, das schien ein gängiges Handelsgut zu sein, nicht einmal besonders exotisch und teuer, eher eine Massenware die sie dort Sackweise hatten. Die besondere Farbe wurde wahrscheinlich erst durch Fredos Behandlung daraus. Dann ging es weiter an der Küstenstraße gen Rahja nach Neersand. Einige Tage später kamen wir an auch dort an, ohne dass es Probleme gegeben hätte, die Straße war gut befahren und für die Jahreszeit gar nicht in so schlechtem Zustand. Nur der unablässige Wind vom Meer her machte es manchmal etwas ungemütlich. Aber was soll ich Klagen, das Wetter gehört nun einmal zu den Gaben Sumus, gegen die man nicht, naja, fast nichts, machen kann.

Wir nahmen Quartier in der Residenz, dem fast besten Haus am Platz. Die Wache kam gar nicht auf die Idee, mir etwas anderes anzubieten. Es hätte wohl noch eine etwas noblere Herberge gegeben, aber das war tatsächlich in meinen Augen nicht nötig. Das Hotel war ein Backsteinhaus mitten in Neersand. Wir waren nach dem späten Mittag angekommen und es war noch etwas Tag übrig, nachdem wir unsere Zimmer bezogen hatten. Wir sollten uns, meinte der Wirt, zunächst den Efferdtempel ansehen, eine der größten Attraktionen der Stadt. Nun gut… warum nicht, die Farbe würde bis morgen auch nicht weglaufen. Das einzige was etwas störend war, war der dichte Nebel der wie eine Decke an diesem Tag über Neersand lag. Man sah kaum die Hand vor Augen, und das obwohl es noch Tag sein sollte. Das käme vom Meer her, wurde mir erklärt, und sei zu dieser Jahreszeit in der Gegend gar nicht so untypisch. Auf dem zum Tempel hörten wir von irgendwo aus dem Nebel Lärm. Ein rennen, scheppern, klappern von Metall auf Metall, und es kam auf uns zu. Zwei verschwommene Gestalten tauchten kurz aus dem Nebel auf, sah uns und wichen seitlich aus in eine Gasse. Dahinter kamen noch einmal zwei dunkle Gestalten aus dem Nebel, die den beiden anderen folgten. Machten die ein Wettrennen? Da das Ganze ohne großes Geschrei ablief, was sonst ja ein Zeichen gewesen wäre das jemand Hilfe benötigte, dachten wir uns aber nichts weiter dabei. Man muss sich ja auch nicht in alles einmischen… Der Lärm verklang langsam im Nebel. Wir gingen weiter zum Tempel, damit hatten wir jetzt nichts zu schaffen.

Ich meinte in der Ferne im Nebel erneut schwere Schritte weg vom Tempel verklingen zu hören, Richtung Süden. Der Tempel war, soweit man das in dieser Suppe beurteilen konnte, tatsächlich etwas Besonderes, auch wenn es etwas dauerte bis wir ihn im dichten Nebel gefunden hatten. Wieder kam uns eine einsame Gestalt aus dem Nebel entgegen, aber diesmal recht ruhig. Bald erkannte ich eine blaue Robe, graue Haare und wurde verschlafen mit müder Stimme angesprochen. „Ragnild ist gnädig heute mit ihren Gaben.“ Ich verstand kein Wort, stellte mich aber artig vor. Er nannte sich Koi Walsarew, und schrie auf einmal unvermittelt los, er sei bestohlen worden, das Haus des Herrn Efferd. Dann redet er wieder wirres Zeug. Irgendwas von einem Licht, das im Tempel entzündet wurde. Ist ja nicht schlecht, wenn es dunkel ist, dachte ich bei mir… was hat sich der Mann so? Hinter uns näherten sich erneut zwei gestalten die auf den Tempel zugingen, die schienen aber keine Bedrohung zu sein. Aus dem Wortschwall des grauhaarigen wurde ich allerdings nicht so recht schlau. Und wer zum Henker sollte Ragnild sein?

Der Mann guckte überrascht über unsere Schultern, „noch mehr Besuch heut Abend, wen spült Ragnild uns nun wieder an.“ Ich wollte endlich wissen, wer dieser Ragnild sei und fragte etws genervt danach. Er erklärte irgendwas von einem weißen Delphin, der den Nebel brächte, was ich aber erneut nicht recht einordnen konnte. Jucho begrüßte auf einmal die Ankömmlinge, er hatte sie vor mir erkannt. Pamsheyu und Nadjescha waren da wie von Sumu gefügt bei uns gelandet. Ich freute mich riesig, die beiden so unverhofft wieder zu sehen, hatte aber den Eindruck, die Freude war nur meinerseits. Der brummelige Alte rumpelte an Jucho vorbei auf Nadjescha zu, die am Kopf blutete. Pam erzählt irgendwas, dass sie mit eisernen Kokosnüssen beworfen wurden. Nadjescha wollte sich aber nicht von uns helfen lassen sondern lieber zu einem Heiler. Der Alte beschrieb ihr auch einen Weg und schrie dann wieder herum wegen Frevel, Diebstahl und ähnlichem. Die Launen des Mannes waren ziemlich wechselhaft…

Wir begleiteten dann Nadjescha und Pam in Richtung des Heilers. Nadjescha verkaufte jetzt anscheinend Goblins, billige Arbeitskräfte und wir sollten sie hier Tila nennen, sie wollte auch aus unerfindlichen Gründen nicht, dass der Alte oder überhaupt wusste, wer sie wäre. Sie war nicht glücklich, dass wir sie vorhin mit Namen angerufen hatten. Der Weg zum Heiler war nur ein Vorwand von ihr, um kurz in Ruhe mit uns reden zu können. Nun mussten wir aber wegen einer Bagatellverletzung zum Medicus, damit ihre Geschichte glaubhaft blieb. Sie bekam dort einen Verband um den Kopf gewickelt, bevor wir wieder zum Tempel gingen und schaute etwas traurig ihren Münzen hinterher, die sie dem Mann zum Lohn geben musste. Die Tür stand offen, bläulicher Schein leuchtete nach draußen. Als wir die Halle betraten stand der Alte schon da und nickte uns zu: „Efferd zum Gruß“. Das Licht kam von den Wänden und leuchtete stet, anscheinend von in die Wand eingelassenen blauen Steinen. Es wirkte fast wie unter Wasser in einem versunkenen Schiff. Auch der Innenraum sah aus wie auf einem Schiff und überall lagen und standen Gaben herum. Eine große Delphinstatue schimmerte weiter hinten im Licht, die Farbe war aber irgendwie unbestimmt. Blau, grau, grün… schwer zu sagen, er wirkte aber irgendwie lebendig, als würde er sich bewegen. Das fand ich wiederum sehr faszinierend.

Ich wollte hingehen und nachsehen und der Geweihte nickte mir zu, er schien nicht überrascht. Was ich für Bewegung gehalten hatte waren Spiegelungen auf der nassen Statue, die in einem Becken stand und von einem steten dünnen Strom umflossen war. Im Wasser spiegelte sich das Wasser der Leuchtsteine. Das gefiel mir außerordentlich gut. Ich würde einige dieser Steine benötigen für das Schloss. Und wer weiß, vielleicht konnte Fredo daraus ja auch eine von sich aus leuchtende Farbe machen? Das wäre doch mal ein Bild…  Nadjescha gab dem Priester einen Muschelverkrusteten Helm, der ihr an den Kopf geworfen worden war. In einem Eck des Tempels waren die Gaben durcheinander, dort schien jemand herumgewühlt zu haben. Er legte den Helm genau dort ab. Dann brummelte er „Unrecht wurde getan“ und meinte. wir sollten morgen früh wieder kommen, wir würden schon wissen was jetzt zu  tun sei. Mir schwante schlimmes… auf der anderen Seite… so begannen doch die besten Geschichten, oder?

Nadjescha führte uns zu einem Ort, an dem eine Laterne am Boden lag. Ihr schien auch schon der verdacht gekommen zu sein, dass man hier unsere Hilfe in Anspruch nehmen wollte, was ihr aber gar nicht zu schmecken schien. Ich  meinte, wir würden ihm natürlich Helfen, immerhin wollte ich ein paar der leuchtenden Steine haben! Dann gingen wir zurück zum Markt, aber die beiden Damen hatten sich im Haus Neersand gegenüber einquartiert, eine etwas einfachere Herberge. Wir bekamen noch ein spätes Abendessen in der Residenz und verbrachten eine ruhige Nacht. Am Morgen trafen wir uns am Tempel, anscheinend wagten es die beiden doch nicht, sich der Bitte zu entziehen. Heute war es deutlich weniger neblig, so dass man den Tempel auch außen gut sehen konnte. Ein langgestreckter Holzbau, bei Licht betrachtet eher ein Lagerhaus, das man mit hölzernen Anbauten in ein „Schiff“ verwandelt hatte, Heck zur Stadt, Bug zum Neer. Aber jetzt wirkt es heller und freundlicher als gestern im Nebel.

Koi war wirklich ein Geweihter des Tempels und führte uns zum Tempelvorsteher Jesidoro de Sylphur. Ein jüngerer Mann, etwa 30 Götterläufe mochte er zählen, mit langen schwarzen Haaren die er zum Zopf gebunden trug. Er stand an der Delphinstatue, die Stirn und Hand darauf gelegt und augenscheinlich im Gebet versunken. Sein gebräuntes Gesicht, das davon kündete das er nicht nur in den Hallen des Tempels verweilte sondern sicher auch zur See fuhr oder gefahren war, schien von wechselhaftem aber derzeit grantigem Gemüt zu künden. Er regte sich über eine Lampe, die wohl entzündet worden war auf, ähnlich wie Koi gestern erst. Hier im Tempel hätte nie ein Feuer, Rus, Asche, Rauch oder Qualm sein dürfen. Die Schurken hätten damit dem Tempel seine Reinheit genommen, der sonst frische Geruch nach Meer war verschwunden, der hier hätte herrschen müssen, wie uns erklärt wurde. Also, wenn man einen Tempel des Efferd so leicht entweihen konnte… nun ja, ich sagte dazu lieber nichts. Er reichte uns ein perlmuttfarbenes Muschelhorn mit den Worten, „Wollt ihr es mit Efferds Gaben füllen?“, was mich etwas ratlos ließ. Melham nahm das Horn schließlich und ließ aus dem Becken, das etwa einen halben Spann tief war, Wasser hinein laufen. Dann nahm ich von Melham, machte es genauso. Ich persönlich würde es ja ausschütten, bevor es voll war. Aber Jesidoro nahm es mir schon weg und gab es Pam, die sich den Inhalt über den Kopf schüttete. Das Wasser floss wieder ins Becken und das Horn wurde weitergereicht. Bald waren wir alle durch damit. Aber wozu sollte das gut gewesen sein?

Jesidoro goss den Inhalt des Horn am Ende direkt ins Becken zurück, wo sich höhere Wellen bildeten, als es eigentlich hätte es sein dürfen, aber diese Wellen waren Glatt wie Glas. Der Bewahrer schien in den Wellen und Tropfen zu lesen. „Rein und klar wie ein Bergquell, ein Geschenk des Herrn Efferd,“  murmelte er. Koi winkte uns weg vom Becken, der Tempelvorsteher nahm uns gar nicht mehr war. Mit dem Geschenk waren wohl wir gemeint… irgendjemand, also natürlich wir, müsste die Schurken finden. Es ist der Wille Efferds. Dabei verzog Nadjescha schmerzhaft das Gesicht… Die gestohlenen Gaben würden wohl benötigt, um den Tempel wieder zu weihen. Koi konnte aber auch nicht sagen, was genau gestohlen wurde. In der zerwühlten Ecke lagen Dinge, die der Herrin Rondra nahe seien. Also so etwas wie der Helm, Waffen, Schilde… eine Muschelverkrustete Rüstung lag noch da. Ein Schild war wohl gestohlen worden, eine Gabe des Baron Pilwartis von Schwertbergen. ein Wappenschild der der Toten Schwester des Barons gewidmet war, die als Seeoffizierin im Kampf gegen eine Dämonenarche fiel. Den Helm den wir zurückgebracht hatten hätte vor etwa 10 Jahren ein Fischer aus dem Niederwalls gebracht, als Dank für seine sichere Heimkehr. Und ein Schwert, das vor 30 Jahren als er hier anfing, Jasper Gorschwitz gehörte, dem ehemaligen Leiter der Kriegerakademie. Das Schwert seiner Ahnen, wäre eine schmucklose Waffe, aber das Heft ist geflochten aus weißen und roten Lederstreifen. Der Mann stieg dann auf ein Schiff walsachaufwärts in seine Heimat, ohne einen Blick zurück zu werfen und wurde danach nicht mehr gesehen.

Der Zusammenhang erschloss sich mir irgendwie nicht, auf den ersten Blick wirkte es, als hätte hier jemand wahllos alten Plunder zusammengerafft.

Nun waren wir alle, nun ja, bis auf wenige Ausnahmen, ja dem Zwölfgötterglaube übermäßig verbunden. Es stellte sich also schon die Frage, ob wir nun wirklich helfen sollten. Zumindest Nadjescha schien darauf nur wenig Lust zu haben, und Pam machte auch keinen besonders enthusiastischen Eindruck. Aber am Ende gewann, wie meist, das Gute in uns. Selbst wenn es kein Tempel gewesen wäre, ein Diebstahl ist nun einmal ein unrecht, und das sollte man nicht dulden. Melham machte sich auch sogleich daran, eine Gruppe unbeschäftigt herumstehender Schauerleute zu befragen. Wobei ich mich immer wieder wunderte bei seiner wenig diplomatischen Art, warum er statt Antworten nicht einfach ein paar Maulschellen bekam. Allein diese Stimme weckte nach einer gewissen Zeit schon selbst in so friedlichen Menschen wie mir die Lust, ihm einmal ordentlich… also ich meine, eine gewisse Grundaggression musste man bei dem Kerl einfach haben, oder? Aber zumindest erfuhren wir, dass die Priester ihren Tempel normal immer absperrten, was wir sogleich überprüften.

Die Diebe hatten an einer Nebentür den Riegel von außen aufgehebelt. Dazu musste man wahrscheinlich noch nicht einmal ein besonders begnadetet Phexjünger sein, um das zustande zu bringen. Am Rahmen der Tür fanden wir Kratzspuren wie von einem dünnen Metall. Langsam schien Nadjeschas Neugier und Jagdeifer geweckt zu sein, denn nun war auch sie Bereit die Ermittlung zu übernehmen. Im Gespräch mit Koi erfuhren wir nur wenig interessantes und noch weniger was man als Spur hätte bezeichnen können. Das verschwundene Schwert des ehemaligen Akademieleiters brachte uns schließlich dahin, dass einer seiner Nachfahren, ein Enkel, selbst derzeit an der hiesigen Akademie unterrichtet wurde. Vielleicht wusste dieser Bursche ja etwas, ob an dem Schwert etwas Besonderes sein könnte? Das sollten Nadjescha und Jucho in Erfahrung bringen und der Akademie, einer alten Trutzburg südlich der Stadt,  einen Besuch abstatten. Ich würde mit den Anderen die Torwachen befragen, ob zwei verdächtige Gestalten mit einem scheppernden Sack die Stadt seit dem Morgen verlassen hatten.

Die Wachen, um es kurz zu halten, an allen Toren waren zwar sehr hilfsbereit und auskunftsfreudig, aber wenig hilfreich weil ihnen nichts aufgefallen war. Lediglich das wir in der Dünenschänke Fragen sollten, wenn es etwas an phexgefälligem Handelsgut gäbe, konnten wir dabei in Erfahrung bringen, was wir dann auch mangels anderer Ideen taten. Kurz nach Mittag fanden wir dort nur einige reisende Händler und örtliche Kleinhändler, aber die Frage nach Schwert und Schild brachte uns auch hier nicht weiter. Als wir uns zum Mittag mit Nadjescha und Jucho trafen wurde es noch ein wenig seltsamer. Jucho erzählte komische Geschichten, ein Fenster im Tempel der Burg habe mit ihm gesprochen und Nadjescha waffelte irgendetwas von den Erben der Theaterritter. Alles recht zusammenhanglos und wirr. Das einzig konkrete was dabei herum kam war eine interessante und recht akkurate Zeichnung der Tempelfenster, die Nadjescha angefertigt hatte und das der Name des verschwundenen Schwerts Leuenpranke war. Auffällig an dem Bild, das sich in einer Reihe mit  Darstellungen anderer gerüsteter befand, war sein ein wenig abweichender Stil. Es wirkte weniger wir eine kriegerische Darstellung, sondern hatte eher etwas efferdianisches. Also gingen wir noch einmal um Koi danach zu fragen.

Er erzählte uns, die Frau auf dem Bild sei Tora von Fataboruk, eine Meisterin oder Marschallin der Theaterritter. Sie sei mit einem letzten Zug und mehreren Schiffen gen Riesland gefahren, hatte aber nicht Ritter und Kriegsgerät sondern Frauen, Kinder, Bücher, und Ackergerät mitgenommen. Also eher eine Evakuierung vor den anrückenden Priesterkaisern nach einer verlorenen Schlacht oder ein Siedlungszug, als ein erneuter Kriegszug. Gemeinsam machten wir uns daran das Bild zu interpretieren. Die Haare wirkten wie unter Wasser, eher schwebend. Der dargestellte Fluss musste wohl der Walsach sein, vielleicht war sie ja nur Flussaufwärts statt ins Riesland gefahren? Zu ihren Füßen war ein Strudel dargestellt, das sollte sicher der Neer vor dem Hafen sein. Wie aber das Eichhörnchen zu den Widder und dem Fuchs, also eher wehrhaften Tieren, passen sollte erschloss sich uns nicht.

Wir spekulierten noch etwas vor uns hin, kamen aber zu keinem Ergebnis. Nadjescha meinte, sie seien oben auf der Burg auch fast herausgeworfen worden, nachdem Jucho diese „Vision“ gehabt hatte und sie herumgefragt hatten. Er mochte gar in Gefahr sein, was mich dazu veranlasste, nur als Vorsichtsmaßnahme versteht sich, etwas von seinem Blut in meinem Lappen zu sammeln. Im Notfall mochte ich ihn damit auch leichter wiederfinden. Er erzählte uns dann, recht ungenau, von seiner Vision in der die Ritterin zu ihm gesprochen hatte. Etwas von einem alten Waffenbruder, Verblendete in den eigenen Reihen, ein Ding das den verblendeten Praioti nicht in die Hände fallen sollte. Aber es war unklar ob sie es mitgenommen oder hier gelassen hatte. Denn „nur dieses Land kann es bewachen“. Mochte das das Schwert sein? Nun wussten wir zwar mehr als vorher, hatten aber auch noch mehr ungeklärte Fragen…

Ich ging dann ebenfalls hoch zur Akademie. Denn eine wenigstens für mich verwertbare Information die die beiden mitgebracht hatten war, dass dort insgesamt drei Sewerier unterrichtet wurden. Und mit dem Vater von Ludowig von Eschenfurt hatte ich auf der letzten Adelsversammlung einige recht fröhliche Abende verbracht. Ein sehr umgänglicher Mann, dieser Ugo Damian von Eschenfurt. Wenn sein Sohn nach ihm kam mochte er uns bei einem oder zwei Bierchen vielleicht etwas Brauchbares erzählen. Ich fragte eine hellhaarige Kriegerin die sich als Sjurjescha von Schossko vorstellte nach ihm, stellte aber schnell fest, dass die Lehrer hier oben ein strenges Regiment führten. Kein Alkohol, kein Ausgang war die knappe Auskunft. Also musste ich noch eine Instanz höher Vorstellig werden, direkt beim Akademieleiter Posan von Neersand. Es kostete mich etwas Überredungskunst, aber am Ende verweigerte er mir die bitte nicht, den Sohn eines guten Freundes aus der sewerischen Heimat einladen zu dürfen. Aber NUR auf einen Kräutertee und er müsse zur achten Stunde wieder zurück sein. Nun, das würde sich machen lassen…

Der Sohn kam so gar nicht nach dem Vater. Ein blonder Schlaks, der so gar nicht wie sein gemütlicher etwas schmeerbäuchiger Vater wirkte. Als ich ihn einlud willigte er nach etwas zögern ein, aber seine beiden Freunde Jarlo und Gestroy wollte er dann heute doch noch nicht mitnehmen. Vielleicht morgen. Mit ihm im Schlepptau steuerte ich das Haus Neersand an, wo Nadjescha schon einmal einen Tisch für uns hatte reservieren und alles vorbereiten sollen. Die Anderen erwarteten uns schon. Am meisten vermisste der Junge anscheinend vernünftiges Essen, an der Akademie schien man die Eleven wirklich kurz zu halten. Ich bestellte uns einen Kräutertee, wie Meister Posan versprochen, aber mit Schuss um die Stimmung etwas zu lockern, und Elchschinken für Ludowig und mich. Zunächst plauderten wir etwas. Er hatte noch 2 Jahre Ausbildung vor sich und wollte sich dann vielleicht dem Widderorden gegen die Gefahren aus dem Osten anschließen. Nach dem zweiten Kräutertee entspannte er sich sichtlich, und Nadjeschas Charme schien seine Wirkung ebenfalls nicht zu verfehlen, denn schließlich platzte die Wahrheit regelrecht aus ihm heraus.

Seit gestern nach dem Morgenapell war sein Freund Gestroy verschwunden und er und Jarlo hatten alle Mühe, das mit verschiedensten ausreden zu vertuschen. Der Ärger schien bei einer Mutprobe vor etwa einer Woche angefangen zu haben. In einer üblen Spelunke, dem Edlen Schiffer, war er wohl in eine Schlägerei mit Schauerleuten geraten, zumindest hatte er einige Schrammen gehabt, war aber von zwei Männern gerettet worden. Walsjew, mit breiter Statur wie ein Schmied und Roy, gut zwei Schritt groß, hatten ihn wohl herausgehauen, und mit diesen beiden hätte er sich aus Dankbarkeit danach noch zweimal getroffen. Also mussten wir jetzt nicht nur verschwundenes Diebesgut finden, sondern auch noch einen abhanden gekommenen Jüngling. Da es schon spät wurde brachte ich ihn pünktlich, um mir nicht den Ärger Meister Posans zuzuziehen, zur Akademie zurück.

Als wir ihn dort abgaben überraschte mich Melham das erste Mal positiv. Wir wurden am Tor von Sjurjescha in Empfang genommen, die Ludowig fast ängstlich als „Zuchtmeisterin“ bezeichnet hatte. Melham schien sich davon angestachelt zu fühlen, denn er machte sich regelrecht galant an die Dame heran, ja lud sie sogar auf einen Wein für den nächsten Tag in die Stadt ein. Noch erstaunter war ich, als die Dame die Einladung annahm. Ich meine, Melhams Stimme war ja nur sein drittschlimmstes Attribut, das von seinem bemitleidenswertem Aussehen und seinem erbärmlichen Gestank noch übertroffen wurde. Aber wer weiß, vielleicht war die Frau hier oben in der Akademie ja schon verzweifelt und ausgedorrt? Ich mochte mir das jedenfalls nicht weiter vorstellen und beschloss, eiligst unten um den Hügel herum zu gehen, auf die Rückseite der Burg wo die Fenster des Tempels waren. Dort nahm ich mir die Zeit um unter Bedeckung der anderen einen Geist herbei zu rufen. Vielleicht war Jucho ja einer rastlosen Seele begegnet die an das Fenster gefesselt war? Dann würden ich sie nun in Ruhe befragen können und Juchos ungenaue Worte vielleicht etwas mehr Sinn entlocken können.

Es dauerte etwas, bis ich den sanften Zug einer verirrten Seele in der Ferne spürte. Aber es kam definitiv nicht aus Richtung der Burg, eher aus Rahja, wo wir im Vorbeigehen vorhin ein paar Bauernhütten gesehen hatten. Die Präsenz kam allerdings nicht näher. Nun, auch wenn es nicht das war, was ich gehofft hatte, eine gewisse Neugier hatte ich mir ja schon immer bewahrt. Also ging ich dem was auch immer dort warten mochte entgegen. Als wir uns dem Gehöft näherten stürzte uns ein furchterregendes, durchscheinendes etwas entgegen. Die Gestalt hatte Augen und Mund weit aufgerissen, der Schädel war gespalten, die Gliedmaßen verrenkt. Ich fühlte mich ob der Präsenz unwohl, meine tapferen Begleiter hingegen nahmen lieber direkt Reißaus. Der so übel zugerichtete Mann erzählte, da ich mich nicht schreiend abwand, dass er im Kampf gegen die Warzensau, also Uriel von Notmark, bei der Belagerung der Stadt getötet worden war. Er trauerte seiner Tochter nach, die er wohl einem Hestot hatte geben müssen, oder so, und seine Gebeine ruhten in ungeweihter Erde an einem Eck des Bauernhofs. Nun, zumindest bei letzterem würde man wohl etwas machen können, wenn ich den örtlich zuständigen Boroni finden konnte.

Ich hatte den Gedanken kaum zu Ende gedacht und die fortgelaufenen Gefährten wiedergefunden, da sprang Melham wie von Sinnen nach vorne und fasste mir völlig unschicklich an die Klöten. Ich war so perplex, dass ich nicht einmal schnell genug reagierte um ihn zu züchtigen, bevor er mit seiner schnarrenden Stimme brummelte… „Naaah, keine Hexe…“. Ich hatte seine psychischen Probleme was die Töchter Satuarias betraf vergessen. Jedesmal wenn jemand zauberte der kein Magus war ging das von vorne los. Zum Glück ging der Simpel davon aus, das nur Frauen auch Hexen sein konnten.

Am Morgen erwartete uns der Tag mit Sonne, einem stahlblauen Himmel und bornischer Kühle. Da ich etwas zu erledigen hatte entschuldigte ich mich bei den Anderen, ging den kurzen Weg zum Boronanger und fragte dort ein Mütterchen welches ein Grab hegte nach dem örtlichen Priester. Bruder Arbajev sei wohl, da er nicht hier sei, im Perainetempel oder dem Spital zu finden, wurde mir Auskunft erteilt. Also ging ich direkt dorthin, ich wollte diese Angelegenheit so schnell wie möglich erledigt wissen um mich wieder unserer eigentlichen Aufgabe widmen zu können. Ich fand den Priester im Spital am Bett eines älteren Mannes, der wohl an der Keuche im Endstadium litt. Ich übte mich in kurzer Geduld, musste aber nicht lange warten bis der Greis zurück zu Mütterchen Sumu ging. Der Geweihte hatte durchaus bemerkt, dass ich etwas von ihm wollte, aber sich nicht aus der Ruhe bringen lassen bei der Begleitung des Sterbenden. Nun wand er sich an mich und forderte mich mit stummem Blick zum Sprechen auf. Ich weiß nicht warum, aber im Angesicht solcher Männer wurde ich immer nervös und verfiel in hektisches Reden, insbesondere wenn ich nicht ganz die Wahrheit sagen konnte. Wer wusste schon, ob er mir nicht doch auf die Seele blicken und eine Lüge würde enttarnen können? Also tischte ich ihm, in aller Eile, eine Geschichte auf, dass mir heute Nacht ein Geist erschienen sei bei dem Bauernhof vor den Toren, eine schaurige Gestalt der ich mich mutig gestellt hatte und dir mir darauf ihr trauriges Schicksal enthüllt und die letzte Ruhe ihrer Gebeine gezeigt hatte. Ich konnte ihm ja schlecht erzählen, dass ich den Geist selbst herbei gerufen hatte… aber das drumherum schien ihm recht einerlei. Das einzige was ihn interessierte war die ruhelose Seele und wo er sie finden konnte. Ich führte ihn daher zügig zum Fuß der Burg und ans Eck des Bauernhofs, woraufhin er mir den Segen Borons wünschte und mir hieß, von hier an würde er alles nötige tun, ich sei entlassen. Ein Glück…

Nach dem Essen gingen Nadjescha und ich ins Stadtarchiv, wobei Melham uns begleitete. Nur Pam wollte woanders hin. Im Archiv, das in einer Stube des Rathaus untergekommen war, taten vier Schreiber Dienst die recht gelangweilt wirkten und wir stellten anscheinend eine willkommene Abwechslung dar. Ein älterer Mann nahm sich unser an, als wir nach der letzten Marschallin fragten und führte uns in ein weit hinten gelegenes Eck der Stube. Wobei wir nicht viel neues erfuhren. In einem Buch namens Neersandchronik war verzeichnet, dass im Jahre 335 BF die Kriegsfalle über der Burg wehte. Ein Heermeister namens Anshag von Goldenhag führte einen Kriegszug durch den Drachenspalt gegen die Praioti, verlor aber die Schlacht auf der anderen Seite der roten Sichel, weswegen der Feind wohl ungehindert auf Neersand marschieren konnte. Darauf belud die Marschallin, wie wir schon wussten, sieben Ordensschiffe mit Kindern, Knappen und Mägden, sprach ein letztes Gebet im Efferdtempel, opferte dort auch eine „letzte Gabe“ und verschwand dann mit ihren Schiffen. Was den Alten stutzig machte war nur, dass wir innerhalb kurzer Zeit, nicht einmal einer Woche, schon die zweiten waren, die danach fragten. Ein junger Bursche, wohl ein Akademiezögling, dunkelblond und schlaksig, aber etwas größer als der Eschenfurt als ich diesen andeutete sei es gewesen. Sogar an den Namen erinnerte er sich noch. Gestroy von Ranzig – na wenn das nicht interessant war? Auf jeden Fall wollten wir bei den Efferddienern nachfragen, was die Marschallin damals als Gabe hinterlassen hatte…

Auf dem Weg zu deren Tempel trafen wir Pam wieder die mit grünem Gesicht vor einer heruntergekommenen Kneipe herumstand, dem Edlen Schiffer. Leider konnte uns Koi im Tempel unsere Frage nicht beantworten, das sei immerhin schon 700 Götterläufe her. Aber er wollte sich kundig machen ob sich etwas in Erfahrung bringen ließe. Er hatte sich gerade mit einer Dame unterhalten, die sich uns als Ritterin Tissa vorstellte, Vize-Obristin des Widderordens, der vom Adelsmarschal vor einer Generation ins Leben gerufen worden war um das Land zu schützen. Schmal uns sehnig, mit heller Haut, hellen Haaren und einem grauen Wappenrock. Als sie von Kois aufgeklärt wurde was gerade geschah und welche Rolle wir darin spielten sicherte sie uns ihre rückhaltlose Unterstützung zu. Wir könnten sie jederzeit drüben in Niederwalls auf der anderen Flussseite finden. Nun, darauf würden wir gegebenenfalls zurückkommen, wenn es galt die Verbrecher zu verhaften.

Dann ließen wir uns von Pam zum Schiffer lotsen. Für den späten Nachmittag war in der Kaschemme viel los, aber freiwillig würde ich in diesem Loch sicher nicht einkehren. Jetzt verstand ich auch, warum Pam vorhin so grün im Gesicht gewesen war. Der Gestank war atemberaubend, gerade für jemand der die freie Natur und frische Luft gewohnt war. Ein Elf wäre sicherlich nicht einmal in die Nähe des Hauses gegangen oder auf der Schwelle direkt ohnmächtig geworden. Das Bier, welches, oh Wunder, nicht besonders gut war, wurde in stabilen Holzkrügen ausgeschenkt. Um uns Zeit zu sparen fragten wir direkt in den Raum, wer dem jungen Gestroy geholfen hatte, wir würden uns bei ihm bedanken und erkenntlich zeigen wollen. Aus dem Getuschel das einsetzte hörten wir heraus, dass die „Mutprobe“ wohl darin bestand einen der hölzernen Krüge zu stehlen. Aber ein Kerl namens Laris hätte das bemerkt und man wollte dem Bengel wohl einen Denkzettel verpassen, aber zwei Fremde hätten dem Pack hier den Spaß versaut. Die Namen Riosto, Roy und Walsjew fielen dabei. Das Klappern mit der Geldkatze lockte schließlich diesen Lares, eine selten schmierige Gestalt mit dunklen Haaren, heraus. Er nahm mehrere Groschen um uns zu den drei zu führen. Nadjescha nannte das auf den Busch klopfen – leider verschwand unser Führer ohne seine Aufgabe zu erledigen und mit ihm das Kleingeld. Nun ja, wirklich damit gerechnet hatte ich jetzt auch nicht, dass er uns helfen würde, aber ein wenig ärgerte es mich trotzdem. Nadjescha meinte, er sei sicher losgegangen seine Kumpels warnen. Zumindest hatten wir auf uns Aufmerksam gemacht. Als wir hinausgingen wurde es bereits dunkel.

Nachdem wir anstandshalber einige Minuten gewartet hatten gingen wir auf die andere Seite der Taverne, aber auch da sahen wir erwartungsgemäß keinen Lares. Dafür ertönte kurze Zeit später auf dem Platz ein beachtlicher Tumult und als wir zurück kamen hatte sich bereits eine beachtliche Menschentraube gebildet. Aus dem durcheinander an Stimmen konnte man gerade so herausfiltern, dass es einen Toten gegeben haben musste, und dazu sogar noch einen recht bekannten. Als wir uns einem der Gaffer zuwandten erfuhren wir, dass es sich um Meister Posan von der Akademie handeln musste. Das war natürlich etwas anderes… wir verschafften uns Durchgang  und mühten uns nach vorne bis zu einem kleinen Schuppen, vor dem ein aufmerksamer Beobachter fleckig-braune, geronnene Spuren erkennen konnte die zur angelehnten Tür führten. Während Pamsheyu begann der Spur zu folgen wandte ich mich dem Schuppen zu. Eine leichenblasse, stotternde Magd mit einem Korb saß sichtlich verstört davor. Sie hätte nur Holz holen wollen, und dann… etwas Vernünftiges bekam man aus dem armen Ding kaum heraus, außer dass sie gestern Abend zum letzten Mal Holz holen gewesen sei, und sie sicher nicht die Mörderin wäre…

Ich machte mich mit Nadjescha daran, den Schuppen zu inspizieren. Der Tote, es war tatsächlich Meister Posan, saß mit dem Oberkörper gegen den Holzstapel gelehnt darin. Der Boden war mit Blut getränkt, dass aus einer tiefen Wunde an der Herzseite seines Oberkörpers stammte. Ein schwerer, ja tödlicher Treffer offenbar. Ich habe ja schon die ein oder andere Wunde versorgt, solche gehauenen Schnitte würden am ehesten zu einem Säbel, Entermesser oder einer ähnlichen Klinge passen. Jucho durchwühlte derweil den Toten und förderte ein Tagebuch und einen Schlüsselbund zu Tage, bevor die Wachen kamen und das Kommando übernahmen. Ich trug ihnen auf jeden Fall auf, der Bürgermeisterin, der Marschällin und dem Boroni Bescheid zu geben.

Als Pam zurück kam, sie hatte wohl den Ort des Verbrechens entdeckt und man hatte Meister Posan hierher geschafft, meinte sie, sie würde noch einmal in der Kneipe fragen wollen, ob dort jemand etwas gesehen hatte. Da hatte ich zwar wenig Hoffnungen, aber wenn sie meinte…

Die Wache war mittlerweile mit ihrem Auftrag wieder abgerückt und ich noch mit Jucho und Nadjescha allein im Schuppen. Die Zeit gedachte ich sinnvoll zu nutzen. Am ehesten würde uns vielleicht der Tote selbst einen Hinweis auf seinen Mörder geben können… Vor Juchos staunenden Augen ließ ich ein Stück Kreide aus dem nichts erscheinen, der Manifesto war für solche Kleinigkeiten einfach immer praktisch, und zeichnete dann ein Boronrad um den Verstorbenen. Nadjescha, die anscheinend verstand was ich vorhatte, ging hinaus um dafür zu sorgen dass ich ungestört blieb und schloss die Tür. Das war, als die Wache zurück kam auch bitter nötig, denn ich war mit dem Ruf nach der Seele Posans noch lange nicht fertig zu diesem Zeitpunkt. Aber Nadjescha verstand es meisterlich, die Wachen ins Gespräch zu verwickeln, bis am Ende doch einer an der Tür klopfte und herein kam. Wobei die Szenerie für den unbedarften Beobachter nichts gruseliges hatte. Der Tote lag ja in einem Boronrad, also einem heiligen Symbol, und ich kniete wie zum Gebet davor und hatte eine Hand auf der Brust des verstorbenen. Was die Wache mir dann nachtat, also das beten zumindest.

Es kostete mich einiges an Kraft und noch mehr an Zeit, diesen Ruf gen Totenreich zu schicken, aber egal wie sehr ich mich mühte, eine Antwort blieb aus und ich fand Meister Posans Seele nicht. Das konnte nur bedeuten, sein ruheloser Geist war entweder noch hier, was ich demnächst gedachte herauszufinden, oder sie war an einem Ort den ich nicht erreichen konnte. Die Wache meinte, als wir das Gebet beendeten, der gute Meister Posan sei als stolzer Krieger der im Kampf gefallen war sicherlich direkt in Rondras Hallen eingegangen. Er sollte sodann zum Begräbnis auf die Burg gebracht werden, wofür wir uns auch umgehend erboten zu helfen. Die Wachen hatten Bescheid gegeben und eine Abordnung war mit einem enorm großen Schild gekommen, auf das der Tote nun gelegt wurde. Jucho ließ ich beim Tragen helfen und ging gemessenen Schrittes mit einer entzündeten Fackel neben dem Leichenzug her. Am Tor wartete bereits der boroni auf uns und spendete, als wir vorbei gingen, seinen Segen. Dann nahm er Meister Posans Schwert an sich bevor wir zur Burg weiter gingen. Tiljef, einer der Krieger meinte zu uns, dieses würde der Tradition folgend dem Efferdtempel übergeben, die Schwerter der Akademieleiter blieben stets in der Stadt. Wir sollten nun fortgehen, ohne einen Blick zurück. Das erinnerte mich an die Geschichte seines Vorgängers, der „ohne einen Blick zurück“ den Walsach hochgefahren war. Und nicht auch an diese Marschällin die ins Riesland gefahren war?

Am Tor der Akademie wartete Surjescha auf uns und stand gefasst und fest bereits dort wie man es von einer zukünftigen Akademieleitung erwarten würde. Meister Posan wurde ein würdiger Empfang bereitet als man ihn im Burghof aufbahrte. Ihm das letzte Geleit zu geben zog sich bis nach Mitternacht, bis man ihn dann in den Tempel brachte vor dem für den Rest der Nacht die Geweihte ihren Posten zur Totenwache bezog. Tiljef verwies dabei auf Meister Posans letzten Kampf, der eines Kriegers würdig gewesen wäre. Ich schaute ihn verständnislos an, aber er meinte, bei dieser Wunde, und auch weil Blut an seinem Schwert klebte, könne es ja nur ein glorreicher Kampf gewesen sein. Verdammich… Blut an der Klinge… da würde ich noch einmal in den Efferdtempel müssen bevor sie das Schwert reinigten. Damit könnte ich sicherlich auf den Täter kommen… Zurück in der Stadt fanden wir weder Pam noch Nadjescha, weswegen Jucho und ich dann erst einmal ins Bett gingen.

Aber direkt am Morgen trafen wir uns wieder bei den beiden Damen in der Herberge zum Frühstück.  Sie hatten dann in der Nacht anscheinend doch noch  etwas herausbekommen, nachdem sie dem flüchtigen Lares wohl eine Art Hausbesuch abgestattet hatten. Dieser und ein Schurke Namens Rostow waren wohl die beiden Diebe. Zwei andere, ein Roisto und eine Hildi hätten bei dem Raubzug Schmiere gestanden und die Beute hätte dann ein Walsjew und noch irgendwer bekommen. Der arme Gestroj war in diesem Spiel wohl eher eine Art Opfer, denn der Überfall auf ihn war nur fingiert damit seine „Retter“ ihn heraushauen konnten, so dass er ihnen einen gefallen schuldete. Er wurde dann wohl als ein Spitzel oder Informant genutzt. Das wichtigste war aber zunächst, das Walsjew wohl immer einen Säbel trug und nun auch verletzt sein müsste. Wenn ich also doch irgendwie an das Blut käme… mir würden da sicher einige Dinge einfallen! Die gestohlenen Sachen aus dem Tempel haben sie ihm am Fluss im Süden übergeben. Wahrscheinlich waren die also längst mit einem Boot fortgebracht worden.

Dann suchten wir die noch losen Fetzen einzelner Informationen zusammen, die der ein oder andere von uns noch hatte. Meister Posan hatte wohl mit letzter Kraft vor seinem Tod  im Schuppen eine Art doppelte Spirale an die Wand gemalt, was auch immer er uns damit sagen wollte. Er war dem Anschein nach auch eine Art Beschützer der Stadt, weswegen er nachts oft alleine Wache gelaufen ist auf der Suche nach Schmugglern und anderem zwielichtigen Gesindel. Gestroj war weiter verschollen, wir vermuteten nun, noch bei Walsjew. Wobei die Frage nur war, ob er gegen seinen Willen diesen Mordbuben begleitete oder freiwillig. Und dann hatten wir ja noch Posans Tagebuch, das aber laut Nadjescha nicht viel herzugeben schien, und seinen  Schlüsselbund, der uns sicherlich noch den ein oder anderen guten Dienst leisten mochte.

Während wir noch aßen stürmte ein junger Mann im Wappen der Akademie herein. Wir sollten sofort zum Efferdtempel kommen, es war erneut etwas geschehen. Sofort sprangen wir auf und rannten dem bereits wieder davon eilenden hinterher. Beim Tempel am Fluss war es noch ziemlich neblig, wie so oft in diesen Landen. Der Novize riss die Tür des Tempels auf und vom Fluss hörte man das Geschrei einer Fischerin die herumzeterte. Pam machte sich auf dem Weg zum Fluss, mit dem Tempel hatte sie es eh nicht so, wir anderen gingen in den Tempel hinein. Drinnen sprach die Zuchtmeisterin Surjescha mit Koi und wir bekamen schnell mit was los war – Gestroj von Ranzig, seine Abwesenheit hatte sie anscheinend immer noch nicht bemerkt,  werde vermisst, auch seine Sachen seien weg, aber die anderen Schüler hätten einen Brief gefunden. Es schien ein Abschiedsbrief zu sein, denn darin stand er habe „Efferd gefrevelt und will wohl büßen, Efferd soll über ihn richten“. Das waren merkwürdige Worte. Wir gingen zusammen zum Hafen runter, weil der Meister der Brandung uns das vielleicht erläutern könnte, der dort gerade ein morgendliches Bad nahm. Die zeternde Fischerin, bei der Pam war, meinte als wir vorbei kamen, ein Jüngling von der Akademie hätte ihr Boot geklaut und Pam deutete auf den Fluss und meinte, das führe grad Richtung Strudel. Der Priester Koi wurde kreidebleich im Gesicht und erlaubte uns mit dem Segen des Herrn Efferd, ein weiteres Fischerboot zu requirieren um dem Unglückseeligen hinterher zu rudern. Pam und Melham gingen an die Ruder, ich hingegen übernahm das Steuer des einfachen Bootes.

Ich suchte trotz des Nebels die Richtung zu halten, was nicht einfach war in der Strömung, aber ich denke ich schaffte es ganz gut und auch das Gepaddel der anderen beiden lenkte ich in die richtigen Bahnen. Das Wasser drückte uns schon nach kurzer Fahrt gen Norden. War das der sTrudel oder die einsetzende Flut? Ich bin kein Seemann, um so etwas beurteilen zu können. Ich hielt lediglich dagegen, um den Kurs auf den Strudel zu halten. Pam und Melham gaben recht ordentlich Schub, so dass wir Gestroj zügig näher kamen. Hinter uns versank die Stadt geisterhaft im Nebel, während wir dem anderen Boot näher kamen, wo gerade eine einsame Gestalt über Bord kletterte und ins Wasser stieg. Das Wasser schien aber nicht sonderlich tief zu sein da, er dort gut stehen kann. Der Bursche hatte anscheinend sein volles Ornat und Rüstung angelegt und winkte uns, wegzubleiben. Ich sagte Pam, sie solle ihn einfangen, dafür schien sie mir genau die richtige zu sein. Als sie ausstieg verschwand sie hüfttief im Wasser das augenscheinlich eine starke Strömung hatte und schwamm in die Richtung des armen Tropf. Das Wasser uns der Untergrund waren hier offensichtlich recht schwer einzuschätzen, kein Wunder das sie Lotsen brauchten um ihren Hafen anzusteuern. Nun musste Melham uns alleine hinterher rudern, denn das Boot wollten wir hier nicht allein lassen, sonst wäre es sicherlich noch fortgerieben. Und ich wusste auch gar nicht so recht, wie gut Melham schwimmen könnte.

Als ich in einer besonders starken Verwellung  gegensteuerte, überzog ich es etwas und das Boot drehte sich einmal, so dass Melham nun in die falsche Richtung ruderte und lautstark über mich schimpfte. Wir waren nur noch etwa 10 Schritt von Gestroj weg, aber Pam hat es schon auf 2 Schritt heran geschafft. Es gelang ihr ihn zu schnappen und ins Wasser zu schubsen. Ich bekam unterdessen das Boot weiter nicht richtig unter Kontrolle, wir drehten uns ständig weiter. Die auflaufende Flut drückte uns in die falsche Richtung, oder es war doch Melham selbst, der gegenläufig zu meinen Kommandos ruderte, schwer zu sagen für mich. Ich verlor kurz die Orientierung, bis ich Pam und das andere Boot wieder sah. Es dauerte, bis das Boot wieder richtig ausgerichtet war. Jucho sprang schlussendlich dann auch über Bord und versuchte sich watend zu Pam und Gestroj vorwärts zu kämpfen. Wir waren wohl grade auch etwa auf Höhe der Sandbank, an der er sein Boot festgemacht hatte. Pam war es gelungen ihn etwas zurück zu bugsieren, fort vom Strudel, so dass Jucho ihr helfen und ihn wegzuziehen konnte. Sie schleiften ihn gemeinsam zum anderen Boot zurück, während Gestroj hustete und keuchte. Er hatte wohl Wasser geschluckt.

Mit unserem Boot gingen wir längsseits. Gestroj flennte herum wie ein Bornländerwelpe. Er erzählte die Geschichte noch einmal aus seiner Sicht, für uns war aber erst einmal kaum Neues dabei. Er hatte aus Dankbarkeit die Schurken im Wellenreiter eingeladen und sollte Walsjew einen kleinen Gefallen erweisen: Weil der nicht gut lesen könne, etwas herraussuchen. Gestroj hatte am Ende tatsächlich herausgefunden was die letzte Gabe der Ordensmeisterin war. Walsjew kam vorgestern, aus mehreren Wunden blutend und hinkend zurück, die blonde Frau ‚Gari hatte ihn dann verbunden. Der Efferdtempel sei quasi neu, der alte Tempel aber ist jetzt der Sitz der Lotsengilde, das hatte er ihm gesagt. Und dann kam Walsjew mit einem Bündel, wie ein großes Buch, zurück, und verschwand danach mit der Frau. Sie wollten zum Hafen und abhauen, den Walsach hoch, hatte er noch gehört.  Wir ruderten unterdessen in aller Ruhe mit dem zweiten Boot im Schlepp zurück wo wir von der Fischerin und Koi bereits erwartet wurden. Der Priester schimpfte den Buben ordentlich aus. Aber mittlerweile wusste ich ja, dass sich seine Laune genauso schnell wieder aufhellen würde wie der Zorn gekommen war.

Als er sich wieder etwas beruhigt hatte fragte Pam Koi nach dem blutigen Schwert Meister Posans und den Tüchern, mit denen es geputzt worden war. Sie dachte da anscheinend an mich und di Geister, die gute Seele. Gestroj hatte die Schurken zuletzt vorgestern gesehen, wenn sie also fort waren, hatten sie einen ordentlichen Vorsprung. Wir wollten an der Hafenmeisterei fragen, welche Schiffe seitdem flussaufwärts gefahren sind um es ungefähr abschätzen zu können. Melham und Jucho fragen Koi einige Dinge nach dem Strudel. Warum der da wäre und ähnliches, als ob das von Belang wäre, und Jucho erzählte Koi sogar von seiner Vision. Die Lotsengilde war quasi in direkter Nachbarschaft zum Efferd-Tempel, das Gebäude mit den vielen blauen Kacheln, das ich zwar schon öfter gesehen, aber nie richtig wahrgenommen hatte. Nadjescha erkannte dort fast sofort eine Doppel-Spirale in einigen Fließen, die der mit Blut gemalten von Meister Posan stark ähnelte. Wollte er uns mit den letzten Atemzügen etwa einen Hinweis auf die Lotsengilde, den alten Tempel geben? Der „neue“ war erst so etwa 120 Jahre in Gebrauch. Um uns umzusehen gingen wir in das Gebäude, das gleichzeitig als Hafenmeisterei diente und damit auch die anderen Fragen würde beantworten können.

Eine Schreiberin empfing uns. Wir fragte nach einem Einbruch und dem Diebstahl eines Buches. Aber da sie von nichts wusste holte sie Gildenmeister Noschko herbei, ein kleiner grauhaariger Mann in blauer Uniform. Er führte uns nach kurzer Diskussion in eine Schreibstube um dort zu Fragen ob etwas fehlte, aber dem war anscheinend nicht so. Als wir nach den Tempelschätzen im Keller fragten hielt er das für recht abwegig, gab aber am Ende nach. Eine blassgrün gestrichene mit Muscheln bedeckte Tür führte dorthin. Allerdings musste er erst den Schlüssel holen, den besonders oft, ging dort niemand hinunter meinte er. Jucho holte den Schlüsselbund Meister Posans heraus und probierte ein paar durch, aber keiner passte so richtig, während Nadjescha mit geschultem Auge das Schloss inspizierte. Der Lotsenmeister kam nach einiger Zeit mit einem dicken, klimpernden Schlüsselbund zurück. Aber auch erst musste etwas herumprobieren, bis er endlich einen alten, rostigen Schlüssel fand der zu passen schien und wider Erwarten recht einfach sperrte. Er war entweder ein hervorragender Schauspieler, oder wirklich schon lange nicht mehr hier unten gewesen. Entgegen meiner Erwartung  öffnete sich die Tür fast geräuschlos. Da schien jemand kürzlich nachgeholfen zu haben…

Auf den verstaubten Treppenstufen sah man deutlich Fußspuren die einmal nach unten und wieder nach oben führten. Wir gingen über ein Dutzend Stufen hinunter in einen großen, muffig riechenden Raum. Ein regelrechter Saal der sich unter dem ganzen Gebäude erstreckte. Überall lag Plunder in den Schatten, offensichtlich die Gaben lang vergangener Zeiten. Planken, Holz, Muscheln, Schilde und alles Mögliche andere an Tand. Ein Weg schien durch die Dinge gebahnt worden zu sein bis zu einer Nische die mit einer schmalen, steinernen Rinne vom restlichen Raum getrennt war. Davor lag eine Tuchbahn aus nassem, blauen Stoff und eine dazugehörige Stange, die wohl in den über der Nische befindlichen Haken befestigt gewesen war. In der Nische stand ein Lesepult mit einem Mosaik aus roten und weißen Muscheln das einen Löwenkopf zeigte. Eindeutig Theaterritter. Auf dem Pult sahen wir ein großes staubfreies Rechteck und einen blutigen Handabdruck. Ich nahm mit einem frischen Tuch das Blut auf von dem ich mir sicher war, das es Walsjef gehören musste, während Pam den Gildenmeister ablenkte. Das Lesepult ließ sich oben aufklappen. Darunter fanden wir eine dicke lederne Dokumentenrolle in der dicht gewickelte Pergamente sicher lagerten. 12 Bögen bemaltes Pergament waren es insgesamt. Auf 6 fanden wir die Bilder des Rondratempels, und in weiteren 6 Teilen die darüber liegende Rosette in großen Darstellungen. 11 dieser Bögen waren gleich schwer und dick, der zwölfte aber war deutlich dünner und leichter. Vielleicht war er ausgetauscht worden, oder wie Nadjescha meinte, abgeschabt und nochmal verwendet und übermalt. Es standen auch Worte in Kusliker Zeichen darauf, aber in einer Sprache die ich nicht kannte. Vielleicht Bosparano, mutmaßten wir. Unten rechts war jeweils ein Zeichen, ein verschnörkeltes R auf den ersten 11, auf dem zwölften hingegen 3T3F7. Das Bild war, wie auch schon im Tempel selbst, deutlich anders, dynamischer, eher 3-Dimensional statt flach gemalt. Die letzte Gabe war, und das ärgerte mich nun etwas, dann wohl das Buch gewesen, nicht ein Schwert wie wir vermutet hatten.

Mit diesem Wissen gingen wir zurück und berichteten dann Koi und Meister Jesidoro. Als wir die Geschichte erzählten, waren beide sichtlich entsetzt über den Frevel. Das Wissen, das in dem Buch verzeichnet ist sei „nicht für sterbliche, es war schon immer dem Herrn Efferd anvertraut“. Die heilige Elida von Salza wurde von Efferds Gläubigen zum Schutz angerufen.  Die Geweihten schlossen die Tür, so dass wir unter uns waren, als Nadjescha neugierig nachfragte. Der Diebstahl war wohl gezielt, so wie das aussah, und schon hatten wir den nächsten Auftrag der Kirche am Hals. Wir sollten herausfinden wer tatsächlich dahinter steckte. Und Koi sollte uns alle dafür notwendige Unterstützung besorgen, das Buch wiederzubeschaffen. Gestroj beschrieb Walsjew als kräftig wie ein Ochse oder Schmied, unrasiert und kahlgeschoren in der Begleitung einer schmächtigen blonden Frau. Zumindest würden wir die beiden ausmachen, falls sie uns über den Weg liefen. Koi stürmte derweil davon um Tisa zu holen, die Ritterin vom Widderorden. Er ließ sich von einer Fischerin direkt über den Fluss rudern. Wir fragten unterdessen direkt bei den Lotsen und dem Hafenmeister nach ob jemand mit der obigen Beschreibung oder unter diesen Namen sich Flussaufwärts eingeschifft hätte. Die Schreiberin ging die Schiffsliste für uns durch, wurde aber nicht fündig.

Als das nichts half ließen wir nach einem Schiff suchen, mit dem sie vor einer Woche auch gekommen sein könnten, falls sie wieder mit dem gleichen Schiff zurückgefahren wären. Gestroj hatte etwas in der Art aufgeschnappt. Ich kaufte am Markt unterdessen noch schnell blaue Farbe, bevor wir abfuhren. Nicht, dass ich darüber in der Eile hinweg kommen würde. Die Farbe wurde aber glücklicherweise am Markt wo unsere Herberge stand Topfweise verkauft, so dass es weder besonders schwierig noch besonders teuer war. Ich mietete meine Tiere dann noch für die folgende Zeit ein im Stall des Gasthauses ein. Der Treidelpfad am Fluss war auf Grund des Wetters derzeit nicht nutzbar und eine Schiffsreise wollte ich meiner Braunen dann doch nicht antun. Dann packte ich mein Zeug zusammen für die anstehende Flussfahrt. Wir trafen uns später wieder am Hafen mit Koi und Ritterin Tisa, die sich die flüchtigen noch einmal beschreiben ließ. Sie schien die beiden zu kennen, so wie sie reagierte. Das Pack gehörte wohl zu den Walsach-Piraten und hieß mit richtigen Namen Gari Trischanzig und Meister Walsjew sei ein gewisser Bosjef Grumpen. Sie gehörten zur Bande eines Schurken Namens Mijesko Einhand, von dem sogar ich schon einmal Geschichten gehört hatte. Und er sei nicht nur mit dem Jenseits im Bunde sondern auch überaus Grausam und bößartig. Auf ihn wurde schon jahrelang Jagd gemacht, aber niemand war seiner bisher habhaft geworden. Der grausamste aller Piraten des Walsach sei ein entflohener Leibeigener mit einem Haken am Arm, mit dem er gerne seine Opfer ausweiden würde. Also eine richtig abscheuliche Gestalt, der wir im Vorbeigehen auch das Handwerk legen würden, sollte sich die Gelegenheit ergeben… so jemanden zu beseitigen war immer ein Dienst an der Welt.

Übermorgen, ließ man uns mitteilen, würde das Flussschiff des Widderordens nach Norden aufbrechen. Die Mannschaft (und wir…) sollten aber vorher noch unter den Segen des Herrn Efferd gestellt werden. Auch Gestroj wollte uns begleiten, was Sinn machte, da er die beiden Flüchtigen als einziger richtig erkennen konnte. Und wenn ich ihn mitnahm, würde ich Ludowig und Jarlo auch gleich auf ihre Feuertaufe ausführen können. Das gefiel mir gut, man konnte doch nie genug Sewerier an Bord haben. Ritterin Tisa wollte noch ein paar Waffenknechte mitnehmen,  und wir wurden gebeten an der Akademie nachzufragen. Die Stimmung dort war wegen des kürzlichen Trauerfalls natürlich gedämpft. Die Rondra-Geweihte und Surjescha standen vor der Temepltür auf der Treppe. Ich konnte mit einigen wohlgesetzten Worten Surjescha davon überzeugen, uns die drei Sewerier mitzugeben, sollte sie aber sicher wieder zurück bringen und drauf achten, dass sie keinen Blödsinn anstellten und mindestens eine Stunde täglich übten. Was Zucht, Ordnung und Drill anging würde die Ritterin Tisa da sicher behilflich sein können… meine Sache war das ja eher nicht…

Während Nadjescha noch ein gutes Wort für Melham bei Surjescha einlegte ging ich mit Jucho erneut in den Rondratempel. Meister Posan lag dort aufgebahrt in der Mitte des Andachtsraums, angetan mit seiner Akademiekleidung. Hinter uns wurde diskret die Tür geschlossen. Jucho ging zu dem Fensterbild, durch das die Abendsonne leuchtete. Ich widmete mich dem Bild mit einem Odem Arcanum um zu prüfen ob seine Vision magischer Natur hätte sein können, aber das Bild hatte absolut nichts magisches an sich, außer dass es handwerklich wirklich gut gemacht war und stilistisch völlig aus der Reihe fiel. Efferds Farben standen nach wie vor in scharfem Kontrast zu den anderen fünf Bildern. Juchos Vision war mir nach wie vor ein Rätsel… und ich mochte keine ungelösten Rätsel!

Den Rest des Tages verbrachten wir im Efferd-Tempel und am nächsten Morgen sollten wir mit dem Schiff den Fluss hinauf fahren.

Dieser Eintrag wurde am 28.04.2023 (16:58) verfasst und 58 mal aufgerufen.
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