Tagebuch von Victor Dondoya Lucisresistis Stellamane D'Pelisario von Al'Anfa
Epilog -in Bethana und Al'Anfa

Wobei ich nicht sagen möchte, dass mit unserer Rückkehr alles vorüber war. Im Gegenteil, eigentlich fing jetzt alles erst an. Ich hatte noch keine drei Tage um mir tatsächlich darüber im Klaren zu werden, was es eigentlich bedeutete die Vaterrolle anzunehmen. Meinen eigenen Vater konnte und wollte ich da schlecht als Stereotyp hernehmen. Natürlich kümmerte ich mich auf der Fahrt nach Bethana um die Kleinen, aber bei etlichen Dingen musste mir dann doch Azina zur Hand gehen. Das mit dem Füttern war gar nicht mal so einfach, wenn man keine Brust hatte aus der die Milch von selber heraus strömte. Und die Exkremente der Kinder zu beseitigen war auch keine Wonne. Von meinem Sohn hatte ich mir in diesen Tagen die Nabelschnur und das Kindspech aufgehoben und getrocknet, man konnte ja nie wissen, wozu man das einmal brauchen würde.

 

In Bethana hatte sich die Nachricht von der Kindesentführung wohl wie ein Lauffeuer verbreitet und die Bethaner hatten während der letzten Tage am Leid der Garangors Anteil genommen, während sich die wildesten Gerüchte bahnbrachen. Es war also nicht verwunderlich, dass sich die  Ankunft des hünenhaften Thorwalers mit dem häßlichen Gesicht, der rothaarigen und –äugigen Maga mit der weißen Robe, der schillernd bunten Maraskanerin und natürlich des Schwarzmagier-Taufpaten in Windeseile herumsprach und jeder unseren Einzug mitbekommen wollte. Kurz: In den Straßen drängte sich das Volk. Wer uns bislang noch nicht kannte, bekam wohl spätestens jetzt eine klare Vorstellung von uns. Man könnte uns quasi als lokale Berühmtheiten bezeichnen, wobei Ruhm ja vergänglich war...

 

Aber ich war ich froh die Hälfte der Verantwortung, nämlich Miguel-Victor in die Arme seiner überglücklichen Mutter legen zu können. Nachdem sie ihr Kind ausgiebig geherzt und geküsst hatte fiel Esmeralda mir um den Hals, drückte mich dankbar und wollte schier endlos lange nicht mehr loslassen. So musste sich die Umarmung einer zärtlichen Boronsotter anfühlen. Mir blieb schier die Luft weg, aber ich wusste ja dass sie einfach nur froh und dankbar war. Hätte ich diesen Platz in ihrem Herzen noch nicht inne gehabt, spätestens jetzt wäre ich ihr ewiger Held gewesen. Da konnte selbst ein Schwarzmagier emotionale Anflüge nicht verwinden.

Fabrizios Dankbarkeit kannte natürlich ebenso keine Grenzen. Er veranlasste sofort zur Feier des Tages und zu unseren Ehren ein Fest auszurichten. Genauso wie seine Erleichterung als ich ihm in aller Ruhe erzählte, da wollte ich Esmeralda aber lieber nicht dabei haben um ihre Nerven zu schonen, was alles geschehen war. Endlich war die Bedrohung durch La Facia Seconda beseitigt. Darauf stießen wir natürlich an. Vor ihm hatte ich in dieser Sache auch keine Geheimnisse und schilderte, auf welche Weise Donata ums Leben und mein eigener Junge zur Welt gekommen war. Auf seiner Miene stritten die Erleichterung und ein leichter Schock um die Vorherrschaft, aber am Ende gewann dann doch die Erleichterung darüber, diesen Dolch in seinem Rücken endlich nicht mehr spüren zu müssen. Dann erzählte ich ihm von den weniger heroischen Problemen, vor die mich die kleinen Knaben auf der Rückreise, gestellt hatten, worauf er schelmisch grinste. Nun ja, er war ja selbst erst seit zwei Wochen Vater, die Kinder waren ja fast gleich alt. Aber diese Art von Unannehmlichkeiten schien er auch schon selbst zumindest zum Teil erlebt zu haben.  

Auf dem Fest mussten wir dann die unvermeidlichen Schulterklopfer aber auch neugierige Fragen nach den Geschehnissen über uns ergehen lassen und ich hoffte inständig, dass die Anderen nicht allzu freimütig alles herausposaunen würden. Gut, bei Azina und Junasia war die Gefahr da weniger groß, aber bei Ansgar machte ich mir schon ernsthaft Gedanken, ob seine Verschwiegenheit auch nach einigen Bechern Bier noch halten würde. Aber es war am Ende wohl nicht sooo schlimm, als das man uns nun geächtet hätte. Und selbstverständlich waren wir nun so lange Gäste bei Fabrizio und Esmeralda, wie wir wollten und würden jederzeit zu Ihnen zurückkehren können.

 

Fabrizio schenkte jedem von uns darüber hinaus 50 Dukaten, immerhin hatten wir seinen Sohn gerettet. Auch wenn ich das so oder so für den Kleinen getan hätte. Aber mit dem Geld würde ich schon bald etwas anzufangen wissen. Die verbliebenen 53 Goldstücke aus der Reisekasse wollte er ebenfalls nicht zurück nehmen, weswegen ich sie unter mir, Azina, Junasia und Ansgar aufteilte. Zudem kam dann noch Fabrizios praktische Ader zum Tragen, denn er besorgte mir auf seine Kosten eine Amme für meinen Kleinen, die sich um die Alltagsprobleme wie das Füttern, Wickeln, Schreien, Spucken und was Babys eben so taten kümmern würde. Zumindest vorerst und bis ich mich entschieden hatte, wie es überhaupt weitergehen sollte. Ich würde mich entscheiden müssen, ob ich noch etwas mehr Zeit in Bethana verbringen würde, oder mit dem Kind zurück nach Al’Anfa reisen wollte, was dann wohl nicht ganz einfach gehen würde. Die Amme war ein dralles Ding namens Alvide und nichts was meine Lenden zum Kochen gebracht hätte, aber anscheinend hatte sie schon genug eigene Kinder versorgt um sich bestens auszukennen. Bei Hesinde, ich würde mir jetzt wirklich bald einen Namen für den Fratz einfallen lassen müssen. Ich konnte ihn ja nicht ewig „mein Kleiner“ nennen. Und in den nächsten 8 Tagen würde auch noch der Geburtssegen fällig werden. Also brauchte ich mindestens einen Paten, denn bis nach Hause würde ich es ja nie und nimmer schaffen. Es gab einfach noch so vieles zu Bedenken…

 

Das naheliegende wollte ich dann auch zuerst angehen. Ich ging in den Hesindetempel und machte einen Termin für den Geburtssegen aus. Da ich die Patenfrage noch nicht geklärt hatte setzte ich das Ganze aber auf in 6 Tagen an, das sollte mir noch genug Spielraum geben. Einige Ideen was das anging hatte ich ja durchaus schon. Auf der anderen Seite war es dann doch wieder sehr einfach, denn ich hatte hier in Bethana weder besonders viele Freunde noch andere Vertraute. Also fragte ich zuerst Fabrizio und Esmeralda, ob sie mir die Ehre geben würden für meinen Sohn die Patenschaft zu übernehmen, auch wenn ich sie zu nichts verpflichten wollte. Die beiden Jungen, quasi gleich alt, würden sich ja gegenseitig hervorragende Spielkameraden abgeben. Wie ich erwartet hatte waren die beiden mehr als gerne dazu bereit diese Aufgabe zu übernehmen und Esmeralda hing mir schon wieder um den Hals vor Freude. Wir waren eh darüber ein gekommen die beiden Kinder solange ich da war wie Zwillinge in der gleichen Wiege schlafen zu lassen und es fühlte sich tatsächlich fast so an, als hätten die beiden auch Brüder sein können, aber diesen Fakt konnte ich mit Sicherheit ausschließen.

Das war aber noch bei weitem nicht alles. Ich war mir ja sicher, dass mein Spross unter den gegebenen Voraussetzungen selbst magische Kräfte entwickeln würde. Und ohne jeden Zweifel würde ich ihn nicht an irgendeiner Akademie Fremden in die Hände geben um sein Potential zu formen. Schon gar keiner der schwarzen Gilde. Diese Schlangengruben kannte ich ja aus eigener Erfahrung. Dort gab es mir einfach zu viele unmoralische auf den eigenen Vorteil bedachte Individualisten. Ich muss es ja schließlich wissen! Ich war vielleicht ja selbst sogar einer! Also kam nur ich selbst für die Ausbildung meines Kindes in Frage. Und auf der anderen Seite kannte ich nur zwei andere Magierinnen, denen ich mich verbunden genug gefühlt hätte, um ihnen in einer so wichtigen Sache zu vertrauen. Junicera war nicht verfügbar, diese Option entfiel also schon einmal. Also blieb Junasia, die sowohl mein Vertrauen genoss, als auch anwesend war. Sie war wahrscheinlich sogar die bessere Wahl. Wir mochten unsere Differenzen in grundlegenden magotheoretischen Ansichten haben, aber über ihre Verlässlichkeit und Integrität hatte ich keine Zweifel. Daher ging ich am Nachmittag mit ernstem Gesicht zu ihr. Vor diesem Gespräch war ich deutlich angespannter als vor dem mit Fabrizio und Esmeralda.  "Meine liebe Kollega Junasia. Ich hätte da eine Bitte an Euch, die Euch vielleicht seltsam anmuten mag. Nein, lasst mich erst einmal ausreden, es fällt mir so schon schwer genug dies zu sagen. Ich möchte Euch bitten, auch wenn ich weiß das wir unsere Differenzen haben was grundlegende Interpretationen der arkanen Theorien angeht, mir etwas zu versprechen. Normalerweise würde ich Euch bitten, als eine Patin für meinen Sohn zur Verfügung zu stehen. Aber da ich denke, dass ein Schwur auf die Zwölfe Euch auch nicht mehr binden würde, als ein Versprechen das ihr mir bei den Elementen gebt, würde mir das völlig ausreichen, es sei denn ihr würdet von Euch aus als Patin einstehen wollen. Natürlich nicht im Efferd- sondern im Hesindetempel. Für Euch sollten damit auf weiteres auch keinerlei weitergehende Verpflichtungen bestehen. Ich würde Euch nur um eine einzige Sache bitten. Sollte mein Sohn, und davon gehe ich aus, über magische Kräfte verfügen, und ich selbst nicht in der Lage sein ihn zu unterweisen wenn er alt genug ist, weil mir etwas zugestoßen sein sollte, und bei unserem Lebenswandel mag dies nicht einmal so unwahrscheinlich sein, so würde ich mir wünschen, das ihr seine Ausbildung übernehmt. Warum? Nun, ich durfte jetzt mehrmals erleben, dass man Euch vertrauen kann. Um genau zu sein, seid ihr die Vertrauenswürdigste Kollega, die ich überhaupt bisher kennen lernen durfte. Ihr mögt Eure Fehler – und dabei dachte ich an ihr heißblütiges Temperament -  und wir unsere Differenzen haben, aber an eurer Integrität hege ich keinen Zweifel. Und damit halte ich größere Stücke auf Euch als auf den größten Teil meiner eigenen Gilde, deren Mitglieder doch eher im eigenen Interesse handeln. Und wer weiß, vielleicht wäre mein frühzeitiges Ableben ja ein Zeichen dafür, dass mein Weg doch der falsche war und dieser Weg meinem Sohn erspart bleiben sollte, auch wenn ich dies nicht glaube. Um gleichzeitig so wenig aber auch so viel würde ich euch bitten, Junasia. Was sagt ihr dazu?" Sie gönnte sich etwas Zeit bis sie antwortete. "Fehler, was für Fehler habe ich in euren Augen?" Sie wartet kurz und fügt dann hinzu. "Sei es drum. Natürlich bin ich bereit die Patenschaft für euer Kind zu übernehmen... sofern ihr nicht darauf besteht dies in einem Becken voller ... WASSER ... zu bekräftigen. Achja, wie soll der Kleine eigentlich heißen? Und wo soll das Kind leben? Ich hoffe doch nicht in eurer Akademie? Da ich viel auf Reisen bin müsste ich somit von Zeit zu Zeit nach dem Wohl des Kindes und auch nach eurem Wohl sehen. Zum einen erreichen uns in Drakonia nur selten Boten zum anderen beabsichtige ich für das Erste nicht zurückzukehren. Ich denke mich als nächstes nach Punin zu begeben und dann weiter nach Khunchom zu reiten. Ihr kehrt nach Al Anfa zurück?" Ich war positiv überrascht von ihrer schnellen Zusage. Eigentlich hatte ich damit gerechnet mehr Überzeugungsarbeit leisten zu müssen. Und sie war bereit auch im Tempel… besser konnte es kaum sein. „Nein, wie gesagt, im Hesindetempel, nicht bei Efferd. Man soll der Göttin treu bleiben, unter deren Stern das eigene Leben steht. Ich gehe davon aus, dass es dort keine Wasserbecken gibt. Beim Namen überlege ich noch, ich bin mir nicht sicher. Aber es wird ein guter Name werden. Und nein, das Kind wird nicht an meiner Akademie leben. Ich lebe ja selbst nicht einmal mehr dort. Wir sind da etwas anders organisiert als euer Bergkloster. Nein, ich werde mit dem Kleinen wohl über kurz oder lang zu meiner Familie nach Al’Anfa zurückkehren. Das wäre ja von Kunchom aus auch gut zu erreichen. Vielleicht Besuche ich Euch dort auch einmal. Ich würde ja gern mit meinen Studien was die Artefaktmagie angeht etwas weiter kommen, das wäre die perfekte Gelegenheit. Aber fürs erste danke ich Euch einfach einmal, das ihr Bereit seid mir diesen Gefallen zu erweisen!“ Dann ging ich. Eine Person, quasi meine einzige andere Freundin hier in der Stadt,  hatte ich noch offen. Und das Beste hob man sich ja immer bis zuletzt auf.

 

Also ging ich direkt im Anschluss an das Gespräch mit Junasia zu Azinajida. Ihr Geliebter Hagar lag immer noch in einer eigenen Kammer um sich zu erholen, auf der Fahrt und bis jetzt hatte sie sich aufopfernd um ihn gekümmert. Aber es würde noch ein paar Tage dauern, bis er sich von der versuchten Opferung erholt haben würde. Diese Art der Kraftgewinnung, Blutmagie geheißen, würde ich auch einmal irgendwann erlernen müssen, en machtvolles Werkzeug! Und jetzt schlief er anscheinend wieder einmal, weswegen ich sie in ihrer eigenen Kammer antraf. Ich bemerkte sofort, dass ihr etwas auf die Stimmung drückte, denn so grüblerisch wie derzeit hatte ich sie selten gesehen. Normalerweise war sie ja wirklich ein Ausbund an Fröhlichkeit. Aber in den letzten Tagen war ihre Stimmung immer wieder getrübt gewesen und sie schien in Gedanken weit weg. Daher beschloss ich, das Gespräch erst einmal mit etwas unverfänglichem zu Beginnen. Von meiner Fahrt in die südliche See hatte ich ja noch das Rethonikum. Ein seltenes und teures Gebräu, aber um ehrlich zu sein hatte ich selbst einfach keine echte Verwendung dafür. Aber sie ja vielleicht? „Azina, ich habe hier etwas, dass dich vielleicht interessieren könnte. Ein Trank, Rethonikum genannt von äußerst potenter Qualität. Frage mich nicht, warum Alchimisten das überhaupt herstellen, ich habe seinen Sinn noch nicht erkannt. Er versetzt einen Menschen in einen totenähnlichen Schlaf, so dass man kein Lebenszeichen mehr von dem Körper wahrnimmt. Wärst Du daran interessiert, es gegen Deine Echsenhaut zu tauschen? Dieses Ding fasziniert mich, ich würde es gern eingehender studieren.“ Überaschenderweise brauchte Azina noch nicht einmal lange zu überlegen und stimmte spontan zu. Allerdings nur unter der Bedingung, dass niemand, also absolut niemand – und damit bezog sie sich wohl auf Hagar und Junasia – davon erfahren würden, dass sie dieses seltene Mittel besaß. Und dann fragte sie mich, und das freute mich wirklich, vorsichtig an, ob sie denn auf mich würde zählen können, falls sie dieses Mittel eines Tages würde verwenden müssen. Ich war gerührt. „Was für eine Frage meine Liebe... natürlich absolute Diskretion. Und wenn meine Hilfe wobei auch immer von Nöten sein sollte kannst Du selbstverständlich auf mich zählen. Ich wäre ein schlechter Mensch, könnten sich meine Freunde, und zu diesen würde ich euch gerne zählen, nicht verlassen...“ Aber ihre Antwort brachte dann doch einige mir bisher verborgene Informationen an den Tag. Ja, es schien als würden wir uns nun tatsächlich gegenseitig vertrauen. „Gerne nehme ich eure Freundschaft an, mein lieber Viktor. Ich weiß ich kann mich auf euch verlassen. Wisset nur so viel: Auch wenn wir den Zirkel nun hoffentlich endgültig von Dere getilgt haben, gibt es noch immer mächtige Feinde, die nach mir suchen. Aus diesem Grund hielt ich die Verbindung zu Hagar so gut es ging geheim und auch über unsere Freundschaft sollte ebenfalls nicht zu viel bekannt werden, da ich sonst um eure Sicherheit bangen müsste. Möglicherweise eröffnet mir das Rethonikum neue Wege, doch diese müssen gut durchdacht und vorbereitet sein.“ Nun ja, damit machte sie mir aber auch keine Angst. Mächtige Feinde… ich hatte jetzt zweimal hintereinander die Schergen des Namenlosen in die Knie gezwungen, was konnte denn bitte noch schlimmer sein? Ich lächelte sie zuversichtlich an. „Dann bin ich froh, dich eine Freundin nennen zu dürfen. Nun, eigentlich wollte ich dich um etwas bitten, aber angesichts der Tatsache, dass du unsere Freundschaft nicht allzu sehr öffentlich bekannt machen willst, werde ich mich wohl etwas zügeln müssen. Ich hätte daran gedacht, dich zu bitten eine Patin meines Sohnes zu werden. Du kannst Dir sicherlich denken, über allzu viele Freunde, die ich darum bitten könnte, verfüge ich nicht. Ich gehe davon aus, dass er in meine Fußstapfen treten wird. Aber gesetzt den Fall, dass er dies nicht tun sollte und wider Erwarten über keinerlei arkanes Talent verfügt und ich dann nicht mehr da sein sollte um mich um ihn zu kümmern, würde ich dich bitten seine Ausbildung zu übernehmen. Ich habe größten Respekt vor deinen Fähigkeiten, und sollte der Kleine nicht Magier werden und ich nicht mehr leben, wäre er an Deiner Seite gut aufgehoben. Für alle anderen Fälle, so hoffe ich, habe ich ansonsten soweit schon einmal vorgesorgt. Ich weiß, ein Schwur bei den Zwölfen würde dir nichts oder nur wenig bedeuten. Und Angesichts der Tatsache, dass diese Verbindung dann wohl auch geheim bleiben sollte, würdest Du mir dieses Versprechen im stillen und nur für dich bei der Geburtssegenszeremonie im Hesindetempel geben auch ohne Patin zu sein? Es würden nur eine Hand voll Leuten davon erfahren, meine Familie, des Kindes Paten und Junasia, denen ich vorbehaltlos traue, damit du im Notfall später dieses Versprechen auch einlösen könntest. Was sagst du dazu?“ „Du ehrst mich mit deinem Vertrauen. In einem anderen Leben würde ich nichts lieber tun als die Patin deines Sohnes zu werden. Doch in diesem Leben muss ich vorsichtig sein um euch nicht zu gefährden.“

Azina atmet tief durch, schaute sich im Raum um, überprüft, dass niemand lauschen kann und fuhr dann fort: „Viktor, ich will ehrlich mit dir sein. Doch was ich dir jetzt erzähle muss bitte unter uns bleiben. Bis jetzt weiß nur Hagar von meiner Vergangenheit. Ich war nicht immer Medica, aber das hast du dir sicher schon gedacht. Als junges Mädchen wurde ich in die Hände der Bruderschaft vom Zweiten Finger Tsas, eine ziemlich große Meuchlergilde auf Maraskan, verkauft und dort als Meuchlerin ausgebildet. Es war nie mein Wunsch fremde Menschen für Geld zu morden, doch waren meine Eltern in einer Zwangslage und brachten mich dadurch in noch viel größere Schwierigkeiten. Die Bruderschaft hat mir viel beigebracht und wie es in einer Sekte so ist, kommt man da nicht so einfach raus. Doch waren mir deren Ideale zutiefst zuwider und so floh ich bei erster Gelegenheit. Ich tauchte unter und nutzte meine Kenntnisse der Anatomie um mich als Heilerin ausbilden zu lassen. Eine Berufung die mir viel mehr liegt, auch wenn ich in letzter Zeit etwas von meinem Weg abgekommen bin. Doch die Bruderschaft hat mich nicht vergessen. Erst letztes Jahr waren sie mir hier in Bethana auf den Fersen. Ich konnte fliehen, doch ich weiß nicht ob mir das Schicksal weiterhin so hold ist. Wirklich frei von der Bruderschaft bin ich wohl erst wenn ich zu Boron gehe, oder die Bruderschaft zumindest davon überzeugt ist.

Doch du batest mich um einen Gefallen und ich will mich gerne als deine Freundin beweisen. Wenn du es noch immer wünschst übernehme ich gerne mit Verantwortung und gegebenenfalls auch einen Teil der Ausbildung deines Sohnes, so du dieser nicht nachkommen kannst. Doch hoffe ich, das du ein langes und glückliches Leben hast. Vielleicht kann ich aber auch "offiziell" eine Patenschaft übernehmen, allerdings nicht auf meinen Namen Azinajida, sondern auf einen anderen. Möglicherweise bin ich ja eine entfernte Verwandte von dir? Ich bin aber auch bereit in der Stille die Fürsorge für den Kleinen zu übernehmen, so wie du es vorgeschlagen hast. Schwierig könnte es dann nur werden wenn ich das was du mir gegeben hast nutzen musste. Du siehst mein Leben ist nicht immer einfach und die Geschichte mit Hagar und dem Zirkel hat mich ziemlich nachdenklich gestimmt. Es geht so schnell, dass man geliebte Menschen verliert, wenn die falschen Leute von ihnen erfahren.“ „So du das möchtest, darfst du auch gerne einen anderen Namen wählen und zum Geburtssegen als eine Patin für den Kleinen einstehen, ich würde mich freuen. Meuchlerin bist du? Nun, dann weiß ich wenigstens, das mein Junge ausreichend Schutz hat, sollte ich selbst nicht dafür sorgen können. Solltest Du Hilfe mit diesen Kerlen benötigen oder etwas brauchen, sag es mir ruhig. Der zweite Finger Tsas ist mit zwar nicht bekannt, aber schlimmer als die Hand Borons kann er auch nicht sein...

Jetzt verstehe ich auch, wofür du vielleicht das Rethonikum brauchen könntest. Dann ist es bei dir wirklich besser aufgehoben als bei mir. Sollten sie vielleicht einmal versuchen dich zu vergiften, und du merkst es rechtzeitig und kannst deren Gift gegen das deine Vertauschen... ich hoffe, ich bin dann in deiner Nähe.“ Azina lächelte mir zu. "Ich bin froh, dass du es so freundlich aufnimmst. Ich denke ich werde mir bald eine neue Identität schaffen und Azina für immer zu Boron schicken. Was hältst du von einer verschleierten Tulamidin? Wenn ich allerdings schon bei der Geburtssegenzeremonie auftreten soll, dann sollten wir uns ein paar Gedanken dazu machen. Wir sind ja hier recht bekannt geworden die letzten zwei Jahre. Azina wird dann wohl zeitnahe abreisen müssen. Was hältst du von Yamira saba Kazan als Patin für deinen Jungen. Allerdings sollten wir uns dann noch Gedanken machen, woher du sie kennst. Denn Fragen werden sicher auftauchen. Es werden auch reichlich Fragen nach der Mutter auftauchen. Ich empfehle dir, so nahe an der Wahrheit zu bleiben wie möglich. Natürlich ohne den Teil das wir sie umgebracht und im Sumpf versenkt haben." „Nun, meine liebe Yamira, dann wird es wohl so sein. Deine Abreise mit dem Schiff, so dass selbst in den Büchern des Hafenmeisters Azina die Stadt verlassen hat sollte das kleinste Problem sein. Und wenn Du dann schnell von Kuslik aus auf dem Landweg verschleiert zurückkehrst dürfte das zeitlich noch leicht bis zum Geburtssegen langen. Die Frage woher wir uns kennen dürfte auf der anderen Seite nicht allzu schwer sein. Außer den Garangors und Euch habe ich hier keine Freunde, die mich gut genug kennen um über so etwas Bescheid zu wissen. Das einfachste wäre, du hättest wie ich in Al'Anfa aber an der medizinischen Fakultät studiert. Das wäre aber für deine Feinde wohl zu leicht zu überprüfen. Wie wäre es, wenn Du die Schiffsmedica warst, mit der ich zuletzt auf einer Schatzsuche auf den südlichen Inseln unterwegs war? Das Mädel das mich dort begleitet hat, Yazinda, war dir gar nicht so unähnlich? Ein Fremder der sich nur vom Hörensagen her danach erkundigt könnte da durchaus getäuscht werden.  Und die Namen klingen ja auch so ähnlich... Yamira... Yazinda... das kann man schon einmal verwechseln, oder?“ „Das klingt in der Tat nach einer glaubwürdigen Geschichte. Ich danke dir mein lieber Viktor. Bitte entschuldigt mich nun. Ich muss noch einige Dinge klären, bevor ich abreisen kann. Ich bin pünktlich zur Segnung zurück.“ Damit verließ ich ihr Zimmer, es war wohl alles gesagt und besprochen und über unser Gespräch war es reichlich spät geworden. Ich sah noch einmal nach Junior und Miguel-Victor, aber auch die schliefen schon friedlich und einträchtig nebeneinander, bevor ich mich selbst zu Bett begab.

Den nächsten Tag wollte ich, neben den Überlegungen um den Namen meines Sohnes, noch einem Besuch beim alten Fulvio widmen. Ich hatte ihm ja versprochen noch einmal vorbei zu kommen, und das gedachte ich auch zu halten. Wollten doch mal sehen, ob das Inventar dieses Unikats irgendwelche nützlichen Werke für mich bereithalten würde. Eine Liste mir einschlägiger Literatur hatte ich ihm bereits vorgestern über einen Diener Fabrizios zukommen lassen, in der Hoffnung das er schon etwas für mich vorbereitet haben mochte. So schlenderte ich nach dem Frühstück mit den Garangors und Junasia, Azinajida war für die anderen überraschend gestern Abend noch abgereist, und nachdem ich danach gesehen hatte das die beiden Jungen gut bei Amme und Mutter versorgt waren, durch die Straßen Bethanas, zielstrebig den Laden Fulvios ansteuernd. Der Säckel mit Münzen hing schwer in meiner Tasche. Ich hatte vorsorglich meine gesamte Barschaft dabei, man konnte ja nie wissen, auf welche Schätze des Wissens ich nun stoßen würde. Fulvio war natürlich sehr erfreut mich wieder als Kunden begrüßen zu dürfen. Mittlerweile war es ja fast schon regelmäßig und mir eine liebgewonnene Tradition bei dem Alten vorbei zu kommen. Er entschuldigte sich kurz für seine etwas ruppige Art bei meinem letzten Besuch mit dem Verweis darauf, dass ein alter Mann wie er den Schlaf bräuchte um mit der notwendigen Kraft den nächsten Tag angehen zu können. Nach einem kurzen Exkurs über die heilsame Wirkung des Schlafs und die Zipperlein des Alters, fragte er mich was ich den nun genau wünschte und er für mich tun könne, die Liste sei ja recht umfassend gewesen.

Fulvio hörte mir genau zu und nahm mich dann mit in sein Archiv. Er steuerte gezielt ein hohes Regal im hinteren Drittel des Raums an und griff Zielsicher nach einem Buch. Das Exemplar von "Geheimnisse des Lebens", dass er mir reichte war in keinem besonders guten Zustand. Es wies die typischen Spuren eines Buches auf, dass schon einmal dem Wasser ausgesetzt war. Beim Durchblättern stellte ich fest, dass die Seiten zwar angegriffen und manche Passage nur schwer zu entziffern waren, allerdings würde ich sie bei genügend verfügbarer Zeit wohl durchaus in der Lage sein zu lesen. Ich wog bedächtig den Kopf hin und her. Auf der einen Seite war es anscheinend ein Exemplar der vorletzten, also der vierten Auflage und damit noch ziemlich aktuell, aber der Zustand erfreute mich dann doch recht wenig. Fulvio meinte: "Junger Herr, ich will ehrlich sein, mancher hat sich bereits das Buch angesehen, allein ob des Zustands wollte es keiner kaufen, deshalb würde ich es für ... sagen wir 36 Goldene abgeben." Der Preis wiederum, auch wenn mich das Studium wegen des schlechten Zustandes wohl einige Zeit kosten würde, war natürlich ein Argument, das nicht  von der Hand zu schütteln war.

Fulvio drehte sich um, kramte in seiner Tasche, zog einen Schlüssel heraus und sperrte am Ende des Raums eine schmale Tür auf.

"Folgt mir junger Herr!"

Wir betraten ein sehr kleines, sehr ordentliches Archiv mit einem Schreibpult und lediglich zwei Wandregalen die mit Büchern und Skripten gefüllt waren. Alles fein säuberlich. Hier schien Fulvio seine "besonderen Exemplare" aufzubewahren.

"Die Entwicklung übernatürlicher Willenskraft... " sagte er und drehte sich zu mir um, "...vor kurzem hatte ich noch eine Abschrift hier, habe Sie allerdings an einen Durchreisenden verkauft, der sie mir gut vergütet hat.“ Sehr bedauerlich, auf dieses Werk hatte ich am meisten gehofft.

"Wie meintet ihr noch einmal ... Alchemistische Exkurse?" Er zog sich feine Handschuhe an, stieg auf einen Schemel und schob vorsichtig ein paar Skripte und Bücher hin und her, "... zieht Euch Handschuhe an und haltet einmal kurz, bitte!" Er drückte mir ein paar Bücher in die Hand die ich vorsichtig nahm. "... Aaah, ich wusste doch ..." Er drückte mir eine Loseblattsammlung in die Hand und fragte: "Meintet ihr das?". Ich überflog kurz die erste Seite und nickte. Auf die Frage, was es den kosten solle antwortet Fulvio: "Eine ungebundene Abschrift ... ich erinnere mich noch an den in Geldnot geratenen jungen Mann, der eiligst nach Hause aufbrechen musste, da wichtige familiäre Angelegenheiten einer Klärung bedurften. Tränen hatte er in den Augen, als er es an mich abgeben musste. Junger Mann, ich würde es einem treuen Kunden wie Euch, so wie es ist für 16 Goldene überlassen. Wenn ihr es noch in einen ledernen Einband gebunden haben möchtet, würde ich für die Mühen und das Material insgesamt 18 Goldene dafür nehmen. Allerdings kann ich mich erst in ein paar Tagen an die Arbeit machen, so dass ihr Euch wenn ihr es gebunden haben möchtet ca. 1 Woche mit der Abholung gedulden müsstet.“ Da musste ich nicht lange überlegen und legte es mir direkt auf die Seite mit dem Vermerk, es doch tatsächlich bitte zu binden. Die Zeit hatte ich ja, in einer Woche war ja gerade einmal der Geburtssegen vorbei und ich sicher noch in der Stadt.

Er stieg vom Schemel herab, ging zum zweiten Regal und förderte ein Exemplar des ersten Bandes von Ringkunde, also die Ringkunde für Anfänger, zu Tage. "Dieses Buch habe ich einem ...  sagen wir einmal ... etwas zwielichtigem Gesellen abgekauft. Er sah nicht wie ein Gelehrter aus und hatte zugegebenermaßen scheinbar auch keine Ahnung davon was er da in Händen hält. Ich will gar nicht wissen, von wo bzw. von wem er es genommen hat. Aber jetzt ist es ja glücklicherweise hier um wieder in kompetente Hände gegeben zu werden. Ihr wisst, dass dazu noch ein zweiter Band existiert? Leider habe kein Exemplar davon hier. Das Eine würde ich Euch für ... " Er blickt Viktor kurz abschätzend an "... 62 Goldene überlassen, ein angemessener Preis wie ihr sicherlich einzuschätzen wisst!". Das musste ich mir noch einmal überlegen. Der eine Band war ohne den anderen eigentlich sinnlos. Auf der anderen Seite, musste man nicht Gelegenheiten dann packen, wenn sie sich ergaben? Trotzdem war ich auch hier noch unschlüssig.

Er sortierte die Bücher die ich ihm zurück reichte wieder in die Regale ein und legte die beiden "Verkaufsexemplare“ auf einen etwas größeren Tisch. Noch bevor er sich setzte holt er ein weiteres Buch mit dem Titel "Liber Metelesae" aus dem Regal und legte es zusätzlich auf den Tisch. "Dieses hier ist eine der wenigen Abschriften eines Originals, das in der Akademie von Grangor liegt. Ich glaube es gibt noch Originale in Zorgan und Punin, aber insgesamt nicht sehr viele. Wie so oft brachte Geldnot das schöne Stück in meine Hände, für 63 Goldene würde ich es den Besitzer wechseln lassen. Von den anderen Büchern die ihr mir nanntet habe ich leider kein Exemplar vorrätig." Es taxierte mich erneut.

„Wenn ihr alle vier Bücher mitnehmen wollt, der Herr, würde ich Euch auf den Gesamtpreis, nicht zuletzt auch deshalb, weil ihr in Regelmäßigkeit bei mir einkauft, noch einmal 10 Goldene nachlassen? Einen großen gefetteten  Ziegenlederbeutel zum Einschlagen Eurer Bücher würde ich ohnehin noch hinzugeben.“

Nun war es an mir zu Überlegen. Mit einer solchen Menge an verfügbaren Werken hatte ich nicht gerechnet, und nicht alle davon waren meine erste Wahl. Auf der anderen Seite machte mir der alte Fulvio wirklich einen ordentlichen Preis, insbesondere wenn man sein Angebot bei Abnahme aller Werke noch einmal etwas nachzulassen bedachte. Ich haderte mit mir. Die erforderliche Summe hatte ich insgesamt tatsächlich zur Verfügung, auch wenn es meine Barschaft weitestgehend aufbrauchen würde. Phex war meinem Geldbeutel in den letzten Monden wirklich hold gewesen. Aber was würde Vater dazu sagen, wenn ich statt mit einem gut gefüllten Dukatenbeutel um meine Schulden zu zahlen mit einem Haufen alter Bücher nach Hause kam? Konnte ich mir das erlauben? Aber wann bot sich wohl eine solche Gelegenheit erneut? Innerlich rangen Hesindes Wissensdurst und Phexens Geiz miteinander. Aber am Ende, und die Entscheidung fiel mir nicht leicht, gewann meine Neugier auf das Wissen die Oberhand. Da würde ich meine Erzählung daheim wohl ein wenig anpassen müssen, hoffentlich würde Vater nichts bemerken! Aber abwegig war es ja nicht…die Praioti ließen mich zu der Götter Ehren und ihrem Segen arbeiten und Fabrizio erwies ich einen Freundschaftsdienst, da erwartete man keine Gegenleistung… ich denke die Geschichte konnte so durchgehen. Ich zog mein Säckel aus der Umhängetasche und zählte Fulvio die vereinbarte Summe auf den Tisch. Irgendwann geriet ich ins Schwitzen und musste schwer schlucken. So viel Geld… 169 Dukaten wechselten den Besitzer. Mehr Geld, als ich jemals vorher auf einen Schlag ausgegeben hatte. Damit verblieben mir für die nächste Zeit noch 50 Goldstücke. Das war nicht wenig, natürlich. Aber mein Polster für schlechte Zeiten hatte sich jetzt erst einmal erledigt. Ich würde demnächst wohl wieder eine neue Einnahmequelle auftun müssen. Dafür war ich, und ich pries Hesinde für ihre Gaben, um ganze vier Bücher reicher, deren Nutzen ich noch gar nicht richtig abschätzen konnte.

Die nächsten Tage vergingen wie im Flug. Eigentlich hatte ich mir vorgenommen auch hin und wieder ein wenig in meinen Neuerwerbungen zu lesen. Aber irgendwie schlüpfte mir die Zeit durch die Finger. Ich verbrachte die Tage zunächst natürlich mit Fabrizio, Esmeralda, Miguel-Victor und Junior und auch Junasia leistete uns oft und gerne Gesellschaft. Langsam formten sich auch erste Gedanken zu Juniors Namen, aber so ganz zufrieden war ich bisher nicht. Allerdings war ich etwas enttäuscht von Junior. Ich  muss verdrängt haben, dass man mit Kindern in diesem Alter noch nicht wirklich viel anfangen konnte. Außer herumliegen, futtern, schreien und scheißen konnte er eigentlich noch gar nichts. Aber wenn er dann doch einmal friedlich nach einer Milchmahlzeit auf meinem Arm lag und mich nicht gerade vollspuckte sondern ansah machte das doch einiges wieder wett. Schade, dass ich keinen Zauber kannte, der die Entwicklung eines Kindes beschleunigte. Für Pflanzen gab es so etwas glaube ich. Aber bei Menschen? Ich hätte ihm jetzt gerade viel lieber Lesen und Schreiben beigebracht, aber davon waren wir wohl noch etliche Jahre entfernt. Alles in allem fühlte es sich einfach sehr… familiär an. Geborgen. Es dauerte tatsächlich nur etwa zweieinhalb Tage bis Azina, oder nun besser Yamira, an unsere Tür klopfte. Eine tief verschleierte Frau in der Tracht der Tulamiden aus der Kunchomer Gegend ließ am Tor in feinstem Tulamidya anfragen, ob hier ein Schwarzmagier namens Dondoya residierte. Hätte ich nicht gewusst, dass ich mit Azina rechnen musste, ich hätte sie wohl nicht erkannt. Wie auch, man sah ja eigentlich nur ihre Augen. Auch das auffällige Haar hatte sie unter den Tüchern ihres Gewandes sorgfältig verborgen und die Stimme etwas verstellt. Etwas höher als sonst und sie sprach schneller als gewohnt. Mochte vielleicht daran liegen, dass ihr das Tulamidiya noch eher lag als das Garethi das wir sonst sprachen. Natürlich eilte ich zur Pforte um dort in überzeugend gespielter Überraschung meine liebe Freundin Yamira zu begrüßen. Allerdings mussten wir ja vermeiden, dass irgendwer hinter diese Scharade kam, weswegen eine Unterbringung bei Fabrizio entfallen musste. Die Gefahr war zu groß, dass sie doch erkannt wurde wenn sie pausenlos bei Menschen war, die sie zum Teil ganz gut kannten. Außerdem wusste ich auch gar nicht, wie weit sie Hagar schon eingeweiht hatte. Aber eine Unterkunft im Gasthof für die nächsten Tage konnte sie sich ohne Probleme leisten. Wir sollten einfach allzu intensiven Kontakt zu den anderen Vermeiden, auch wenn es schwer viel. Es blieb jetzt natürlich nicht aus, dass ich die Geschichte meiner Schatzfahrt ins Südmeer zum Besten geben musste. Ich meine, spannend war sie ja auch, aber insbesondere um die intensive Beziehung zu erklären, wenn ich Yamira in wenigen Tagen als dritte Patin präsentieren würde. Ich schmückte die Geschichte noch etwas aus, dass sie mich mehrmals zusammengeflickt hätte nach schweren Verletzungen undsoweiterundsofort. Danach setzten wir uns immer wieder einmal in ihrem Gasthaus zusammen, hielten aber ansonsten die Füße Still. Ich beschloss, den Bogen auch nicht überspannen zu wollen. Nach der Geburtssegensfeier würde ich wohl leider nicht mehr allzu lange in Bethana bleiben. Die verbliebenen paar Tage verstrichen schneller als ein Pfeil flog. So war Satinav einfach. Seine Gabe verrann, wenn es am schönsten war, und zog sich in die Länge, je unerträglicher einem das Leben schien.

Als es schließlich soweit war sammelte sich eine kleine Prozession am Anwesen der Garangors. Ich und der Kleine natürlich, sowie Junasia und Fabrizio, Esmeralda und Miguel-Victor. Dazu die für die anderen überraschend anwesende Yamira und die Familie Nivian an Esmeraldas Seite. Ich hatte sie eigentlich eher proforma eingeladen, aber sie waren trotzdem meiner Einladung gefolgt. Hier im Horasreich nahm man das mit den Familienbanden wohl noch recht ernst. Ich hatte mit Fabrizio, der unbedingt für alles an diesem Tag sorgen wollte, quasi als sein Geschenk an sein Patenkind und mich, abgesprochen, das wir die Angelegenheit in einem kleinen und dezenten Rahmen halten würden. Natürlich hatte ich auch gar nicht die Möglichkeiten, geschweige denn ein Interesse daran eine derart aufwendige Feier wie er auszurichten. Und mit einem Hochgeweihten für den Segen konnte ich auch nicht aufwarten. Da musste es ein einfacher Geweihter, oder besser wie es tatsächlich dann war eine Geweihte der allweisen Herrin tun. Die nicht mehr ganz junge Priesterin nahm ihr Amt dennoch ernst und führte die Zeremonie in aller Angebrachten würde und Feierlichkeit durch. Sie schien sehr zufrieden damit, dass selbst Schwarzmagier ihren Nachwuchs den Göttern anvertrauen wollten und blickte mich immer wieder wohlwollend an. Für meinen Sohn hatte ich an diesem Tag ein grünes Gewand gewählt, im Farbton ähnlich dem der Priesterin, um meine Verbundenheit mit Hesinde noch deutlicher zum Ausdruck zu bringen. Niemand war überrascht, als ich Fabrizio und Esmeralda, die Victor-Miguel auf dem Arm trug, meinen Kleinen zum Segen in die Arme legte. Als Junasia sich ebenfalls erhob um ihm die Hand am Altar auf den Kopf zu legen blickten mich einige Anwesende ungläubig an. Dass ich, der bekennende Schwarzmagier einer Elementaristin so viel Vertrauen entgegen brachte hatten wohl die wenigsten erwartet, und innerlich grinste ich dabei vor diebischer Freude. Was wäre das Leben denn ohne Überraschungen! Zuletzt erhob sich noch Yamira, nach wie vor verschleiert wie eine Mumie, und stellte sich zu der kleinen Gesellschaft am Altar, die Hand des Jungen nehmend. Fabrizio sah erst mich an, ich nickte ihm bestätigend zu, dann zu Yamira. Bildete ich mir das ein, oder huschte da ein schnell verborgenes erstauntes Erkennen über seine Züge? Sollte es da gewesen sein, war es genauso schnell fort wie es gekommen war, ich war mir nicht sicher. Aber einen Händler zu täuschen war ein schweres Unterfangen. Ich konnte nur das Beste hoffen.

Die Geweihte sprach die heiligen Segen, ganz ohne Wasser zu Junasias Erleichterung, und beschwor Hesindes und der anderen Elfe Schutz auf mein Kind, dem seine Paten im Namen der Götter schworen es zu schützen, für es zu sorgen und es zu leiten. Der spannendste Moment für alle war wohl der der Namensgebung. Bisher hatte ich den Namen außer der Geweihten, die ihn ja aussprechen musste, tatsächlich niemandem verraten, nicht einmal Fabrizio. Und Esmeralda war mir die letzten Tage fast schon stündlich mit der Frage nach dem Namen in den Ohren gelegen, aber ich war standhaft geblieben. So lauschten alle mehr als gespannt der Geweihten als diese, die Finger in heiliges Öl getaucht und Hesindes Schlange auf die Stirn des Kindes zeichnend, den letzten Teil des Segens sprach. „Sei gesegnet im Namen Hesindes und ihrer heiligen Geschwister, Nandurin Miguel Yunasio Yamiros d‘Pelisario.“ Ich hatte lange mit mir gerungen ob des Namens, es sollte ja ein guter und starker Name sein, der seinem zukünftigen Schicksal auch gerecht wird. Und allzu dämlich durfte er sich dann nicht anhören oder so kompliziert sein, dass ihn keiner verstehen würde oder aussprechen konnte. Meine ersten Gedanken gingen natürlich ins Bosparano und angesichts seiner Geburt hätte da Aueuspuer gut gepasst, was man am besten mit Güldenkind hätte übersetzen können. Aber zu kompliziert, zu seltsam und außerdem… wollte ich denn zumindest die Eingeweihten in alle Ewigkeit daran erinnern, dass der Namenlose seine Finger im Spiel gehabt hatte? Nein! Nandurin nach Nandus, dem Wandelstern der für Erkenntnis und Intelligenz stand waren dann schon viel treffender und schöner. Miguel als seinen Quasi-Bruder nahm ich in den Namen auf, stellvertretend für die Garangors als seine Patenfamilie, genauso wie in maskuliner Form seine beiden Patentanten. Bei dem ganzen Nachdenken über Namen war mir noch etwas ganz anderes eingefallen. Ich hatte selbst noch keinen Magiernamen angenommen wie es eigentlich Tradition war sobald man seinen Abschluss machte. Ich hatte bisher einfach noch nicht den richtigen Namen gefunden. Aber jetzt wusste ich es. Sobald ich daheim war würde ich an der Akademie vorsprechen und meinen Namen eintragen lassen! In meinem Gepäck hatte ich noch das Säckchen mit Münzen gefunden, das ich Alves, Marwan und der Wache in der Ruine abgenommen hatte. Gold von Ketzern. Ich hatte beschlossen, ohne einen Blick hinein zu werfen um wieviel es sich handelte, dieses Geld als Opfer und Dank an Hesinde für ihren Segen zu spenden und warf den klingelnden Geldbeutel im Hinausgehen in die Opferschale.

Die Feier direkt im Anschluss fand natürlich, wenn auch ohne besonderen Prunk, bei den Garangors statt. Ich hatte dazu sogar, Anstand musste sein, die Spektabilität der Akademie von Bethana als einzigen zusätzlichen Gast eingeladen. Ich war Magier, Nandurin mein Sohn und er der höchste Vertreter aller Gilden am Ort, also gebot schon die Höflichkeit, ihn zu dieser Feier einzuladen. Allerdings, und das wunderte mich nun wieder nicht, wurden wir von der Anwesenheit verschont. Die Kluft zwischen der Weisen und der Schwarzen Gilde war dann doch zu groß denke ich. Echten Wert hätte ich eh nicht darauf gelegt. Yamira hielt sich so gut sie konnte im Hintergrund und versuchte Gesprächen und Fragen durch Antworten in gebrochenem Garethi auszuweichen, auch wenn fast alle Anwesenden des Tulamidya zumindest bis zu einem gewissen Grad mächtig waren. Aber sie machte das ganz gut. Schauspielern lag ihr anscheinend. Fabrizio fuhr dem Anlass angemessen, aber ohne dabei zu übertreiben, feine und erlesene Speisen und Getränke auf und lies sich nicht lumpen, genauso wie er mir schon alle für ein Baby grundsätzlich notwendigen Utensilien geschenkt hatte. Angesichts meiner jüngsten Erwerbungen hätte ich mir eine solche Feier selbst gar nicht mehr leisten können und hätte wohl deutlich bescheidener in ein Gasthaus gehen müssen. Aber das hätte Esmeralda niemals zugelassen, die die meiste Zeit fast wie eine stolze Mutter von Zwillingen beide Jungen auf dem Arm hatte. Ein bisschen wie eine Glucke war sie ja schon. Aber eine sehr liebevolle! Ich meine das überhaupt nicht abwertend, im Gegenteil. Als sich der Tag dem Ende zuneigte war es mir fast unangenehm, was Fabrizio und Esmeralda alles für mich getan hatten, auch wenn sie darauf bestanden das es genau so seine Richtigkeit hatte.

Nach diesem Tag löste sich unsere kleine Gesellschaft langsam auf. Junasia reiste bald nach Punin ab, wo sie sich noch etwas weiterbilden wollte um von dort wie angekündigt nach Kunchom weiterzuziehen. Yamira verabschiedete sich am nächsten Morgen, um nicht doch noch von irgendwem erkannt zu werden. Sie wusste selbst noch nicht so genau, wohin sie nun gehen würde. Aber sie wusste ja, wo sie mich erreichen konnte wenn sie mich brauchen würde. Ich selbst blieb mit Nandurin noch eine gute Woche bei den Garangors, holte meine Bestellung bei Fulvio ab, genoss noch diese Tage voller Entspannung und Vertrautheit. Aber irgendwann konnte ich die Entscheidung zur Abreise nicht weiter hinauszögern, so gern ich auch geblieben wäre. Vater und meine Familie würden sich irgendwann fragen, wo ich denn bliebe. Und das Ziel mit dem ich insgeheim aufgebrochen war, nicht zurückzukehren ohne die Bedrohung von unseren Häuptern zu nehmen, hatte ich erreicht. Also hieß es Abschied nehmen. Esmeralda hätte es zwar am liebsten gesehen wenn ich mit Nandurin noch deutlich länger bei ihnen geblieben wäre, und ich versprach ihr, bald wieder zu Besuch zu kommen, aber an meinem Aufbruch führte kein Weg vorbei. Fabrizio überzeugte die Amme mit einem fürstlichen Salär und der Aussicht auf eine dauerhafte Anstellung als Kammerdienerin in seinem Haus mich zu begleiten bis wir in Al’Anfa bei meiner Familie waren und dort die Versorgung Nandurins auf andere Weise sichergestellt werden konnte. So musste ich mir zumindest während der anstehenden Seereise keine Gedanken machen, wie ich den Kleinen versorgen sollte. Am Tag der Abreise hatten wir gerade noch Zeit  gemeinsam ein letztes Mal zu Frühstücken, bevor wir zum Hafen mussten um das Schiff nicht zu verpassen. Ich hätte schwören können, Esmeralda ließ sich extra viel Zeit. Aber da konnte ich mich natürlich auch täuschen. Am Kai verabschiedeten wir uns herzlich. Nandurin hatte ich gegen den kühlen Seewind in eine flauschige Wolldecke gehüllt. Esmeralda drückte und ein letztes Mal, ich umarmte Fabrizio noch einmal und wir schworen uns ein baldiges Widersehen. Bei dieser Entfernung konnte das natürlich auch einen etwas längeren Zeitraum bedeuten, aber spätestens zu den ersten Geburtstagen unserer Kinder vereinbarten wir, würden wir uns wiedersehen. Dann trug ich Nandurin, die Amme im Schlepptau, die Planke hinauf und wir bezogen eine kleine Kajüte auf dem Segler der Garangors. Für mich eine echte Umstellung, anstatt allein und in Ruhe zu Reisen die nächsten Wochen mit der Dame und Junior gemeinsam in der Kajüte zu verbringen, denn für lange Aufenthalte an Deck war es eindeutig zu frisch.

Die Rückfahrt verlief aber insgesamt dann zum Glück weniger Ereignisreich als die Hinfahrt. Bis auf etwas rauere See um Kap Brabak und einige Tage Zwangsaufenthalt in Chorop um einen Sturm auszusitzen hielten sich die Unannehmlichkeiten in Grenzen. Da wir Ehrengäste an Bord waren, dafür hatte Fabrizio gesorgt, nahmen wir unsere Mahlzeiten stets zusammen mit den Offizieren und dem Kapitän ein, auch wenn diese wegen der Anwesenheit eines Säuglings an Bord das ein oder andere mal schief schauten. Ich ließ die Amme ihre Arbeit tun und hatte mit dem Kleinen dann recht wenig Scherereien, aber ich nahm ihn täglich mit zu einem Rundgang über das Schiff und zeigte ihm Efferds prächtigen Ozean. Während die Amme zumeist strickte, wenn sie sich nicht gerade um Nandurin kümmerte, begann ich meine neuen Bücher zu lesen. Ich begann mit der Ringkunde für Anfänger, die ich zum großen Teil schon aus meiner Studienzeit kannte. Es war, wie ich vermutet hatte. Das meiste war mir schon bekannt, lediglich einige neue Ideen und Thesi für bestimmte Artefakte fand ich faszinierend. Aber ohne den zweiten Band für Fortgeschrittene, auch wenn ich selbst ein solcher noch nicht unbedingt war, blieb dieses Werk doch eher theoretisch und von geringem praktischem Nutzen. Trotzdem kämpfte ich mich durch seine Seiten und hatte es fertig gelesen, als wir in Al’Anfa einliefen. Der Zwischenstopp in Brabak fiel diesmal recht kurz aus. Ich wollte Junicera auch nicht unbedingt damit konfrontieren, dass sie, wie sie mich auf diese Orgie geschleppt hatte, quasi die Ursache für meine unverhoffte Vaterschaft war. Deswegen kam es mir durchaus zu passe, dass wir nur kurz in Brabak hielten um die Vorräte zu ergänzen und bald darauf wieder weiterführen. Ich ließ ihr natürlich eine kurze schriftliche Notiz zukommen, dass ich es sehr bedauerte nicht länger vor Ort sein zu können, aber vielleicht wollte sie ja Mutter einmal wieder besuchen kommen und dann könnten wir uns auch etwas länger sehen.

Als wir endlich in Al’Anfas Hafen einliefen empfand ich die Wärme die mir entgegenschlug als Wohltat. Hier unten bei uns ist es, auch wegen des immer warmen Wetters, doch einfach am schönsten. Ich nahm Nandurin an mich, hieß die Amme sich stets bei mir zuhalten, schnappte mein weniges Gepäck und machte mich mit ihr auf den Weg zur Villa meiner Familie. Eigentlich brannte ich darauf, allen von meinen neuesten Erlebnissen zu Berichten. Aber ich musste mich gedulden, denn die Familie hatte sich zu einem Wochenendausflug auf unsere Plantagen begeben, so dass ich quasi allein daheim war. Da die Amme schon recht zappelig war, anscheinend wollte sie so schnell wie möglich wieder zurück zu ihrer eigenen Familie, besorgte ich mir in unserem Haus erst einmal einen Ersatz, bevor ich sie entließ. Aber das Problem hielt sich in Grenzen. Eines der Küchenmädchen hatte selbst erst vor kurzem ein Kind bekommen wie ich erfuhr, und ich hieß sie, Nandurin zu umsorgen. Dafür durfte sie sogar Quartier in der Nähe meines eigenen Zimmers nehmen. Das Mädel hörte auf den Namen Alira und war vielleicht 19 Götterläufe alt. Aber ich  hatte derzeit von Liebschaften erst einmal genug, auch wenn sie keineswegs unansehnlich war. Und sie schien mir gegenüber recht verschüchtert. Ich kannte sie nur Vage, was kein Wunder ist, hatte ich doch mit dem Küchenpersonal selbst kaum zu tun. Und wie es den Anschein hatte und ich ihrem Blick und Verhalten entnahm kursierten bei manchen Dienern durchaus Geschichten über den „finsteren Sohn und Magier des Herren“. Aber war es wichtig? Wo Freundlichkeit und Überzeugung ein Ergebnis brachten, war Respekt oder Angst manchmal genauso geeignet. Ich war mir sicher, sie würde es nicht wagen meinen kleinen Nandurin zu vernachlässigen. Belohnen konnte ich sie später immer noch. Da meine Familie nicht da war machte ich mich als nächstes an das Buch „Geheimnisse des Lebens“. Die Bedingungen zum Studieren waren daheim einfach deutlich besser als auf dem Schiff. Allein schon das Licht wenn ich im Garten oder auf dem Dach unter einem Baldachin auf einer Liege zum Lesen lag oder des Abends eine vernünftige Lampe neben mich stellen konnte erleichterte mir einiges. Ganz davon abgesehen das es einfacher war sich eigene Notizen zu machen, wenn kein Schiff unter einem schwankte. Entgegen meiner üblichen Angewohnheit, die Notizen in mein Vademecum zu schreiben ging ich bei diesem Werk dazu über, die Anmerkungen und Ergänzungen direkt in das Buch einzutragen. Manchmal zog ich auch ganze Textpassagen die nur schwer lesbar waren mit Tusche und Griffel nach. Hier musste ich wirklich nicht darauf achten, dass Werk zu verschandeln. Im Gegenteil waren meine Eintragungen echte Verbesserungen und machten das Buch am Ende deutlich lesbarer. Natürlich schaffte ich nicht den ganzen Wälzer, immerhin ein Foliant von 600 Seiten, dessen Studium mich im besten Fall schon einen Mond oder mehr gekostet hätte und unter den gegebenen Umständen noch deutlich mehr, nicht in den zwei Tagen bis meine Familie zurückkehrte. Da ich noch andere Verpflichtungen hatte zog sich diese Arbeit leider die nächsten zwei Monde. Aber die Erkenntnis, insbesondere im Hinblick auf die Magica Curativa , die profane Heilkunde und Aspekte der Tierkunde und die Vertiefung der Alchemie was Heil- und Schlaftrünke sowie Antidote anging waren beträchtlich.

Das Wiedersehen mit Vater, Mutter und Liliana war wunderbar. Die Überraschung hielt ich aber noch zurück, als ihre Kutsche eintraf. Durch die Dienerschaft hatte ich schon früh erfahren, dass sie auf dem Weg waren, wie immer hatte Vater einen Sklaven voraus geschickt um sich anzukündigen und das alles für ihre Rückkehr bereit war. Also hatte ich genügend Zeit mich vorzubereiten. Mit ordentlich gestutztem Bart und Haaren wartete ich lesend auf der Terrasse und als die Kutsche auf den Hof rollte ging ich ihnen gemessenen Schrittes aber lächelnd entgegen. Die Pferde waren kaum zum Stehen gekommen, da schoss Liliana auch schon wie ein grünblauer Pfeil aus der Kutschentür, sie hatte ein wunderbares Seidenkleid an und trug dazu passende Bänder in ihrem Haar die hinter ihr her flatterten, und rannte mich fast über den Haufen als sie mir in die Arme fiel. Ich grinste und hielt sie auf Armeslänge Abstand um sie zu betrachten. Sie war wirklich schon eine richtige junge Dame, auch wenn sie ihre Manieren gerade vergaß. Den Mann der sie einst heiraten würde konnte man nur beneiden… Über ihre Schulter hinweg sah ich, wie Vater und Mutter gemessen der Kutsche entstiegen. Mutter hatte meinen kleinen Halbbruder Amando im Arm, ließ ihn herab und er rannte mir mit seinem gekrähten „Victo, Victo!“ entgegen. Ich nahm ihn als er heran war hoch und wirbelte ihn einmal herum. Für außenstehende musste das ein seltsames Bild sein, der Mann mit der schwarzen Robe, der so fröhlich die Rückkehr seiner Familie und Geschwister begrüßte. Aber auch Magier sind eben  - meist – nur Menschen. Mutter lächelte mich an. Sie ahnte wohl schon, wie Mütter es eben immer taten, dass ich wieder eine spannende Geschichte mitgebracht hatte. Vater legte mir nur kurz die Hand auf die Schulter und meinte „Gut, dass du wieder da bist. Es gibt wichtige Geschäfte zu erledigen… ich muss einmal schnell die aktuellen Berichte vor dem Essen durchsehen.“ Ich hielt ihn aber noch auf. Ich wollte nicht, dass er die Neuigkeiten von einem tratschenden Diener erfahren würde. „Vater, Mutter, wenn ihr einen Augenblick hättet und mir folgen würdet? Ich muss euch etwas Wichtiges zeigen.“ Damit führte ich sie, Liliana und Amando im Schlepptau, in den Salon hinter der Terrasse, wo ich die Küchenmagd geheißen hatte mit Nandurin zu warten. Ich betrat den Raum als erster und nahm ihr meinen Sohn aus den Armen, der darauf unruhig zu zappeln begann. „Vater, Mutter, darf ich Euch Euren Enkel vorstellen? Nandurin Miguel Junasio Yamiros d’Pelisario. Und die Geschichte, wie ich zu dieser unerwarteten Vaterfreude kam werde ich euch berichten, sobald ihr wollt und Zeit dafür habt.“ Vater hatte zuerst die Stirn gerunzelt, als er mich mit dem Kind gesehen hatte, dann aber schnell seine Mimik wieder unter Kontrolle und schien nicht allzusehr begeistert. Gut, er hatte über ein Dutzend Bastardkinder und davon wer weiß wieviele Enkelkinder. Ich denke er wusste es nicht einmal selber. Meinen Enthusiasmus schien er aber nicht zu teilen. Ganz anders sah das bei Mutter aus, die mich aus ihren sanften Augen begeistert anstrahlte und mir den Kleinen regelrecht aus den Armen riss und an sich drückte, während sie ihrer Begeisterung wortreich Ausdruck verlieh. Liliana quietschte verzückt auf und war sofort an Mutters Seite. „Wie konntest Du mir das verheimlichen? Warum hast Du nichts gesagt bevor du gegangen bist?“ schmollte sie gespielt. „Ich versichere Dir Schwesterchen, bei meiner Abreise hatte ich noch keine Ahnung… um genau zu sein was der Kleine da noch nicht einmal durch Tsas Gnade empfangen… ich erzähle es später, ja?“ Und Amando begann begeistert seinen kleinen Halbcousin zu betatschen und wollte ihm unbedingt eine Weintraube in den Mund stopfen, aber Mutter zog ihn noch rechtzeitig weg. „Nun gut“, meinte Vater, „Angesichts dieser Umstände werden die Geschäftsberichte noch warten müssen. Ich denke deine Mutter und Schwester würden es mir nicht verzeihen, wenn ich sie noch bis zum Abendessen auf die Folter spanne. Folgt mir ins Atrium, dort kannst du erzählen während wir uns eine Erfrischung genehmigen.“

So geschah es. Wir nahmen auf den sehr bequemen liegen im Atrium Platz und Sklaven brachten uns gekühlten Wein, Früchte und einen kleinen Imbiss. Ich erzählte bis in die Abendstunden hinein was seit meinem Aufbruch geschehen war. Die Orgie in Brabak umriss ich angesichts meiner kichernden Schwester nur kurz. Dafür schilderte ich meine Jagd nach den Amuletten und den Dienern des Namenlosen auf den Zyklopeninseln umso bildhafter. Wie ich es mir vorgenommen hatte verringerte ich die am Ende stehende Belohnung auf ein Minimum und den Segen der Götter, was meinen Vater zu einer grantigen Bemerkung über „knausrige Praiospfaffen“ hinriss, sich aber nach einem tadelnden blick Mutters zügelte. Innerlich bat ich Praios jetzt schon angesichts dieser kleinen Notlüge um Verzeihung. Dann musste ich alle möglichen Fragen zur Geburtssegensfeier über mich ergehen lassen. Wie das so ist in Bethana, wo sind die Unterschiede, was wurde dort geschenkt undsoweiterundsofort. Zufrieden nahm Mutter zur Kenntnis, dass unsere Geschenke wohl die ausgefallensten waren und aus der Masse heraus stachen. Liliana wollte ständig wissen, was es denn jetzt mit Nandurin, den Mutter und sie nur aus den Händen gaben, um ihn von der Küchenmagd stillen und wickeln zu lassen, auf sich hatte, ich hätte ihn ja noch gar nicht erwähnt, aber ich vertröstete sie auf später. Als ich dann von der Entführung erzählte und das dabei unser Amulett für Miguel zerbrochen worden war sprang Mutter entrüstet auf, wer es wagte ein geheiligtes Geschenk zu zerstören. Auf jeden Fall würde sie gleich morgen in den Tempel gehen und ein neues Weihen lassen und mit dem nächsten Schiff nach Bethana schicken! Der Fortlauf der Geschichte hielt meine Zuhörer in seinem Bann. Eine wilde Verfolgungsjagd durch das Horasreich. Exotische Gefährten an meiner Seite. Ich, von Dämonen besessen und um meine Seele ringend. Und dann, wie wir diesen Kult des Namenlosen vernichteten um Miguel und Hagar heroisch zu retten. Auf keinem Basar hätten sie eine bessere Erzählung zu hören bekommen, und diese stimmte auch noch. Das Ende wandelte ich aber leicht ab. Ich konnte ja Mutter und Liliana nicht erzählen, dass ich eine Schwangere aufgeschlitzt hatte um an mein Kind zu kommen und ihre geköpfte Leiche danach im Sumpf versenkt hatte. Das wäre wohl zu viel für ihre Nerven (und mein Ansehen) gewesen. Also erzählte ich lieber, dass Donata das Kind bekommen hatte kurz bevor wir ankamen, es gerade weihen wollte, wir dies aber verhinderten und sie auf der Flucht im Sumpf versunken war. Das hörte sich auch deutlich heldenhafter an… und natürlich gab es bei all diesen Heldentaten keine Belohnung für mich, nur für die anderen. Ich hatte dies alles ja aus Freundschaft zu Fabrizio getan, aber diesmal hatte Vater dagegen auch nichts einzuwenden. Der kleine Amando war über der Geschichte schon lange eingeschlafen als ich endete. Ich seufzte im Inneren. Ab morgen würde mich wohl wieder Vaters Alltag einholen und ich zurück an die Arbeit müssen. Als ich vorsichtig anfragte ob es in Ordnung sei die Küchenmagd weiter als Amme für Nandurin zu nehmen war es Mutter die Antwortete und sofort ihr Einverständnis gab. Und Liliana meinte, ich solle mir keine Sorgen machen, wenn ich mit Vater unterwegs wäre. Sie würde sich schon um ihn kümmern, wobei sie ihn wie ein Püppchen im Arm hielt, wiegte und erst wieder hergab als wir zu Bett gingen. Später in der Nacht klopfte es leise an meine Tür und sie schlüpfte zu mir und Nandurin herein, um auch den Rest der Nacht mit uns zu verbringen. Zumindest brauchte ich keine Sorgen zu haben, dass sie meinen Kleinen nicht mochte. Im Gegenteil, ich denke Mutter und Liliana würden gut für ihn sorgen, auch wenn ich nicht da wäre. Liliana war geradezu begeistert davon „Tante“ zu sein und Mutter hatte anscheinend gerade keinen Bastard meines Vaters der ihrer Aufmerksamkeit bedurfte (Vater ließ anscheinend nach, oder wurde er einfach nur älter?) und Amando entwand sich langsam ihrer dauernden Aufmerksamkeit. Da musste ihr eigentlich ein Enkelkind ihres liebsten Ziehsohnes gerade recht kommen, wie mir schien.

In den folgenden Tagen begann Vater mich wie üblich zu vereinnahmen. Aber das machte mir wenig aus, wusste ich doch, das Nandurin bei Liliana, Mutter und seiner Amme gut aufgehoben war. Dieser Tage war auch wieder öfter Visaria, Lilianas Freundin bei uns zu Gast und die beiden unternahmen, neben Dingen die junge Frauen in diesem Alter ebenso taten, wovon ich eigentlich keine Ahnung hatte, recht viel mit Nandurin. Einmal hörte ich die beiden als ich am Nachmittag etwas früher nach Hause kam, Visaria mit ihrer flötenden Stimmte zu Nandurin sprechen, „Komm zu Tante Visaria, na komm“, was mich doch etwas verwunderte. Aber sie hatten wohl beide einen Narren an meinem Knirps gefressen. Aber ob das von Dauer sein würde? Ich wusste zumindest, wie das in diesem Alter war. Man begeisterte sich schnell für etwas, wurde dessen aber auch genauso bald wieder überdrüssig. Wie einen jungen Hund, den man am Anfang über alles mochte, aber irgendwann keine Lust mehr hatte sich darum zu kümmern. Aber sei es drum, ich Augenblick war die Welt in Ordnung. Einen der seltenen freien Nachmittage nutzte ich, um zur Administration der Akademie zu gehen. Da war ja noch die Sache mit dem Magiernamen offen. Beim Schreiber seiner Spekabilität wo auch die Gildenrollen geführt wurden, wurde ich mit meinem Anliegen Vorstellig. „Ich bin hier um von meinem nach Codex Albyricus Fol. XVI, Rn. 235 verbrieften Recht Gebrauch zu machen, einen Magiernamen zu wählen. Ich bitte Euch, den Eintrag in der Akademie- und den Gildenrollen wie folgt zu ändern: Victor Dondoya Lucisresistis Stellamane d’Pelisario von Al’Anfa.“  Der Schreiber hatte bei meinem Anliegen erst recht gelangweilt drein geguckt. Für ihn musste das ja ein normaler Vorgang sein, der im Jahr mehrmals geschah. Sein Ausdruck änderte sich aber schnell von einem leicht amüsierten lächeln, dass er sofort wieder im Griff hatte, welches ich aber dennoch bemerkte zu einem neutralen Ausdruck hin zu einem überraschten Blick. „Herr, seid ihr Euch da sicher?“ Meine Antwort kam ohne weitere Überlegung: „Natürlich, sonst würde ich ja nicht hier vorsprechen. Warum fragt ihr?“ „Nun, zum einen ist dieser Name ja fast identisch mit Eurem bisherigen.“ „Das ist mir durchaus bewusst. Warum sollte ich auch meine Herkunft und meine bisherige Identität verleugnen wollen, auf die ich zu Recht stolz bin. Und bevor ihr fragt, ich weiß, dass es nach dem Kodex mein gutes Recht ist den Namen der Stadt meiner Akademie oder Herkunft inklusive der dazugehörigen Präposition im Namen zu führen, wie es sonst nur Adeligen zusteht. Das sollte nun auch kein Problem sein, oder?“ „Nein, gewiss nicht Herr. Das stimmt schon so. Aber der andere Namenszusatz… ihr wisst was er bedeutet? Nein, natürlich wisst ihr das, ihr hattet ja in diesen Hallen ausreichend Lektionen im Bosparano um euch dessen bewusst zu sein, entschuldigt. Aber die Transposition ins Garethi… meint ihr nicht…?“ „Nein, ich meine nicht. Ich meine es im Gegenteil genauso wie ich es gesagt habe. Ich bin mir der Bedeutung voll bewusst und habe meine Gründe dafür. Also seit jetzt so freundlich und tragt diesen Namen für mich ein.“ „Ja, Herr, wie ihr wünscht…“ Damit war das auch geklärt. Die meisten Menschen würde es sowieso nicht verstehen, genau wie dieser geistig beschränkte Schreiberling, auch wenn er einer der besseren seiner Zunft war. Immerhin VERSUCHTE er mitzudenken, aber das sollte er besser einmal die ausgebildeten Magii tun lassen. Mein neuer Name war nicht nur ein Bekenntnis zu meiner geliebten Heimat, aus der ich ja noch nie einen Hehl gemacht hatte, sondern auch ein Versprechen an meine Zukunft, und dieses gedachte ich einzuhalten. Dere wird einst sehen, was er bedeutete, da war ich mir sicher. Gut gelaunt nach diesem Intermezzo ging ich zurück. Ich würde selbst wohl etwas brauchen um mich an diesen Namen zu gewöhnen und mich noch oft genug ohne die Zusätze vorstellen. Bei denen die mich kannten war es sowieso unerheblich, da mochte die „Kurzform“ reichen. Aber für die Zukunft und offizielle Anlässe sollte es dann schon der vollständige Name sein. Ein leichtes Lächeln um den Mund ging ich den Weg nach Hause zurück.

 

Die Zeit, bis ich neben meinen Arbeiten die Geheimnisse des Lebens durch hatte verging wie im Flug. Arbeiten bei Vater, Zeit mit der Familie und Nandurin – Vater hatte nach wie vor kein übermäßiges Interesse an seinem Enkel, aber das mochte sich irgendwann geben wenn Nandurin sein wahres Potential zeigte – und des Abends bis in die späten Stunden dann das Studium. Ich muss früh morgens wohl gelegentlich etwas übermüdet gewirkt haben, aber das war nichts, was sich nicht mit ein paar Tassen starken Kaffees hätte beheben lassen. Aber irgendwann war ich mit den Geheimnissen durch und am Ende sogar fast etwas enttäuscht. Auf magischem Gebiet hatte ich mir ehrlich gesagt sogar mehr davon erwartet. Sicher, ich würde noch Nutzen daraus ziehen können und unter Anleitung nach dem Buch meine Fertigkeiten insbesondere im Balsam und Klarum Purum noch perfektionieren können. Aber von der Erstlektüre hatte ich mir mehr erhofft. Dummerweise waren die genannten Zauber aber ja auch Schwerpunkt meiner Ausbildung gewesen, so dass mir viele der Textpassagen aus dem Unterricht nur allzu geläufig waren und ich sie zum Teil sogar noch wortwörtlich in Erinnerung hatte. Ich befürchte,  Magistra Belladonna K’Hestofer war da in ihrem Unterricht nicht besonders kreativ gewesen, sondern hatte diesen viel mehr zu großen Teilen aus diesem Standartwerk entnommen um sich Arbeit zu ersparen… Umsomehr war ich auf das nächste Buch gespannt. Die Alchemistischen Exkurse. Außerdem hatte ich ja aus dem Aufenthaltsraum von Marwan und Alves noch  Fläschchen mit unbekanntem Inhalt, die ich einer Analyse zu unterziehen gedachte, und da mochte mir dieses Werk vielleicht sogar behilflich sein. Tatsächlich richtete sich das Werk, wie ich schnell feststellte, an fortgeschrittene Alchemisten. Neben den schnell erläuterten allgemeinen Grundlagen fanden sich darin fantastische Hinweise auf Rezepturen, Erläuterungen zu Sympathetischen Wirkungen, die Einwirkung von Sternenkonstellationen, Versuchsaufbauten, den richtigen Einsatz ausgefallener Apparaturen, undundund… das meiste bezog sich zwar was die Zutaten anging auf offensichtlich weiter im Norden üblicherweise verfügbare Stoffe, aber es war trotzdem spannend. Und es half mir tatsächlich weiter. Eines der Fläschchen war schnell identifiziert, handelte es sich doch mitnichten um einen alchemischen Trank, sondern ganz profan um verflüssigte und abgefüllte Lakritze, wie eine einfache sensorische Geschmacksprobe ergab. Keinerlei Wirkung, Nebenwirkung oder sonst etwas. Mir war zwar schleierhaft, wozu das gut sein sollte außer vielleicht als Nascherei für jemand mit einem absonderlichen Geschmack, aber gut. Ich tat es der Einfachheit halber in meinen Zutatenschrank, ohne so recht zu wissen wofür man es wirklich brauchen konnte. Den zweiten Trunk konnte ich recht einfach mit meinem eigenen kleinen Labor identifizieren. Und hier halfen mir erstaunlicherweise sogar mit einem Querverweis in den Exkursen die Geheimnisse des Lebens weiter, handelte es sich doch um ein Restorarikum, also ein Heilmittel. Freilich nichts Besonderes, was mich zu Begeisterungsstürmen hingerissen hätte. Aber es war, nachdem ich erst einmal Konsistenz, Geruch und Wechselwirkung mit einigen Indikatoringredienzien ermittelt hatte recht simpel zu bestimmen. Die Erprobung an einer Maus, die ich mir von einem Stallburschen bringen hatte lassen ergab dann auch das gleiche wie meine Vermutung. Ein die Heilung fördernder Schlaftrunk einfacher aber zuverlässiger Machart. Nichts, was einem jetzt das Leben retten würde, aber durchaus ein Mittel, mit dem man in Borons Armen erholsamen Schlaf finden konnte. So etwas konnte man immer gebrauchen. Und zur Not würde ich vielleicht Nandurin, so er denn einmal keinen Schlaf finden konnte, mit kleinen Dosierungen ins Reich der Träume schicken können. Bei dem letzten Fläschchen war ich zunächst überfordert, aber auch hier halfen die Exkurse weiter. Um genau zu sein war ich nur überfordert, weil die Rezeptur die dahinter stand ein gut ausgestattetes Labor erforderte und auf Grund der Beschaffungskosten der Zutaten dieses Elixier nicht zur Grundausbildung gehörte, auch wenn die Rezeptur mittlerweile quasi allgemeine Verbreitung gefunden hatte. Aber schon ein genauerer Blick in das Fläschchen und das Blättern nach Referenzen ergaben den ersten Verdacht und dann die Gewissheit. Ich hatte hier ein Leviationselixier in den Händen. Regenbogenschillernde Tröpfchen schwebten durch die Flasche wie kleine Sterne die ihre Bahnen zogen, jeglicher Schwerkraft zum Trotz. Da musste ich zur weiteren Analyse vorsichtig sein. Behutsam öffnete ich die Flasche und sog mit einer Pipette einen einzelnen, winzigen Tropfen auf. Auf einem Bogen Pergament errechnete ich die ungefähre Menge des Tropfens im Vergleich zur ganzen Flasche, dann das Gewicht der bereits bewährten und gut ausgeschlafenen Maus im Verhältnis zum Gewicht eines durchschnittlichen Menschen. Das müsste eigentlich zumindest grob passen. Dann applizierte ich den Tropfen in das Maul der Versuchsmaus. Und siehe da, kaum hatte sie den Tropfen geschluckt, begann sich ihr Körper vom Boden zu heben, während das quiekende Tier lustig mit den Beinen in der Luft herumruderte. Ich grinste und machte eine Schnur um die Maus fest damit sich nicht davon fliegen konnte. Dann ging ich mit meiner Flugmaus durch das Haus, abwartend wie lange die Wirkung wohl andauern würde. Die Blicke der Diener, Sklaven und auch meiner Familie waren Gold wert. Ich tat natürlich so, als sei dabei nichts besondere, freute mich aber diebisch an dem Getuschel hinter meinem Rücken, dass der Hausmagier jetzt schon anfing seltsam zu werden und Tiere durch die Luft fliegen lies. Da müsste man sich ja hüten ihn nicht zu verärgern, sonst würde man irgendwann vielleicht selbst einfach davon fliegen und nicht wieder herab kommen auf den festen Boden. Liliana und Mutter, die gerade mit Nandurin im Garten spielten zeigte ich die Maus voll Begeisterung. Aber irgendwie teilten sie meinen Enthusiasmus so gar nicht. Mutter meinte, ich solle ihr bloß mit dem dreckigen Tier vom Leibe bleiben, und Liliana quietschte ganz undamenhaft, als ich näher mit der Maus an sie heran ging und machte rasch ein paar Schritt rückwärts. Der einzige, der es irgendwie lustig fand war Nandurin, dem ich die Schnur ums Handgelenkt wickelte und der dann die Maus wie einen winzigen Ballon glucksend durch die Gegend schleuderte, bis die Wirkung nachließ. Und das dauerte fast ein halbes Stundenglas, was auf ein recht potentes Mittel schließen ließ. Zwar erschloss sich mir der unmittelbare Nutzen dieses Trankes und sein Sinn – außer vielleicht lustige Jahrmarktsspielereien wie ich sie gerade probiert hatte – nicht sofort, aber das mochte ja noch kommen. Beim Rethonikum wusste ich ja auch nicht unmittelbar, wozu es hätte gut sein sollen, bis sich über Azinajida sein wahrer möglicher Nutzen offenbarte. Über diesen Experimenten und dem Studium der Exkurse verging ein weiterer Mond, aber diese Zeit reute mich schon viel weniger als die beiden Bücher vorher.

 

Als nächstes machte ich mich an etwas, das zwar nicht zeitintensiv war, dem ich mich aber schon viel früher hätte widmen sollen. Das Balsam-Amulett mit dem Segensspruch Peraines war noch immer leer und sträflich hatte ich seine Aufladung vernachlässigt. Das gedachte ich zu ändern, man wusste ja wie die Vergangenheit gezeigt hatte, nie, wann man es denn wieder brauchen würde. Und dann wollte ich bereit sein. Also setzte ich mich an einem ruhigen Abend in meine Kammer, stellte sicher, dass ich nicht gestört würde indem ich einen Sklaven hieß vor meiner Tür zu verharren und niemanden heran zu lassen, und legte das Amulett in meine Hände. Wieder musste ich darüber sinnieren, was mich dazu getrieben hatte genau dieses Objekt zu meinem ersten Werk zu machen. Verlust und Schmerz. Waren das die Antriebe, aus denen ich meine stärkste Motivation zog? Eigentlich wollte ich das nicht. Aber fast schien es so. Aber das musste mir jetzt egal sein. Ich konzentrierte die Fäden meiner Kraft auf die entleerte Matrix des Amulettes, die nur darauf zu warten schien, wie ein trockener Schwamm wieder arkane Macht aufzunehmen. Ein so simpler Spruch wie der Balsam, eine so einfache Thesis doch so Wirkungsvoll dabei, Menschen zu helfen. Meine Finger glitten über die glatte Oberfläche, suchten die Kerben, die Relief und Schriftzeichen darauf hinterlassen hatten. Ich öffnete den Born meiner Kraft und lies langsam, vorsichtig einen kleinen Teil davon in das ausgetrocknete Geflecht der Kraftadern fließen. Ich spürte es. Sie füllten sich, begannen wieder zu pulsieren und nahmen alles auf, was ich ihnen anbot. Wie eigentlich lächerlich gering war der Aufwand an Kraft den ich hier einsetzte, für die wohltuende Wirkung die mein Amulett richtig angewendet später vielleicht wieder einmal entfalten mochte. Ich war noch nicht einmal ansatzweise erschöpft, als ich die Prozedur beendete. Nein, ein Meisterwerk war das noch lange nicht. Im Gegenteil, eigentlich nur harmloser Tand, weit entfernt davon ein Magnum Opus zu sein. Ich musste meine Kenntnis der Artefaktmagie unbedingt noch ausbauen. Da war noch viel, viel mehr drin, das spürte ich. Ich sollte wohl wirklich irgendwann einmal nach Kunchom reisen um dort ein wenig zu lernen. Abgesehen davon, dass ich auf dieser Seite des Kontinentes noch gar nicht richtig unterwegs gewesen war und irgendwie Neugierig, wie es dort wohl sein würde.

 

Da ich jetzt eh schon einmal dabei war… ein kuratives Elixier wollte ich mir noch auf Vorrat machen. Und dabei gleich auch meine derzeitigen Grenzen austesten, rein um zu wissen, was zu schaffen ich in der Lage war. Außerdem hatte mein letztes Erlebnis ja gezeigt, wie schnell selbst ein Vorrat an Heiltränken wie der den ich Azina geschenkt hatte wieder aufgebraucht sein konnte. Einen mehr in der Tasche zu haben für die Zukunft würde also nicht schaden. Diesmal nahm ich mir aber die Zeit, die Einkäufe selbst zu erledigen, während ich eines Abends von Vaters Kontor nach Hause ging. Zum Glück waren solche Dinge wie ich sie brauchte auf den gut ausgestatteten Märkten Al’Anfas und den bei den mannigfachen Händlern mit ihren Läden leicht zu bekommen. Die Storchenfedern hatte ein Hutmacher auf Lager, der sonst die Kopfbedeckung der feinen Gesellschaft mit allerlei ausgewähltem Schmuck verzierte und sich wohl dachte, der eitle Magus bräuchte sie um seine Robe aufzuwerten. Den Diamantstaub bekam ich bei einem der zahlreichen Juweliere am Fuße des Silberberges, wo das Zeug als Nebenprodukt abfiel bei der Gemmenschneiderei und sonst an Apotheker weiterverkauft wurde, die es in Kosmetika für reiche Damen mischten, um deren Teint einen besonderen Schimmer zu verleihen. Rote Pfeilblüte und Alraune bekam ich bei einem Kräuterhändler am Markt ganz problemlos und den Knoblauch nahm ich einfach aus der Küche unseres Hauses. Insgesamt kostete mich das alles gerade einmal gut 5 Dukaten, womit ich gut leben konnte, auch wenn das derzeit schon der zehnte Teil meiner gesamten Barschaft war. Die Prozedur, die sich eigentlich gar nicht vom letzten Mal vor meiner Abreise unterschied verlegte ich auf den Abend vor einem „freien“ Wochenende, an dem die Familie auf Drängen Mutters wieder einmal Zeit gemeinsam verbringen würden. Was nichts anderes bedeutete als auf unsere Plantage zu fahren, wo Vater nach dem Rechten sehen konnte und wir der zu dieser Jahreszeit bisweilen stickigen Stadtluft entkamen. Der Grund für die Wahl des Zeitpunkts war aber ein anderer. Ich gedachte, die mir größtmögliche Menge an Kraft in diesen Trank fließen zu lassen um seine Qualität zu optimieren. Wieder einmal merkte ich, dass ich dringend die Schale des Alchemisten bräuchte. Würde ich das tun während Vater meiner Dienste bedurfte, und ich dann ausgebrannt sei und ich ihm nicht würde helfen können, wäre das einfach ungünstig gewesen. So war ich dieser Sorge zumindest enthoben, auch wenn „das größtmögliche“ mir immer noch eine gewisse, wenn auch kleine Reserve lies. Da ich das Rezept schon mehrfach zubereitet hatte gingen mir die Schritte recht leicht von der Hand. Und nachdem die Ruhezeit von 7 Tagen um war in denen der Trank die Kraft Madas in sich aufgenommen hatte konnte ich Stolz ein recht potentes Heilmittel in seine Phiole abfüllen. Das hatte ich wirklich gut gemacht, auch wenn ich mir bewusst war, dass immer noch Luft nach oben blieb. Noch war ich kein Meisteralchemist, aber das würde noch kommen, so wahr ich hier stand.

 

Ansonsten verliefen diese Tage, wie gesagt, recht unspektakulär. Eine Begebenheit aber blieb mir gut in Erinnerung. Vater hatte mich an diesem Windstag zuhause gelassen um mit einem meiner Brüder die Gladiatorenschule zu besuchen. Er wollte sich anscheinend wieder einmal nach einem neuen Wächter umsehen, und die Schule bot da eine zuverlässige Quelle an hervorragend ausgebildeten und meist sehr loyalen Männern und Frauen. Mein Halbbruder Gerondan war da eindeutig besser geeignet etwas beizutragen als ich, hatte er doch selbst einige Zeit auf dieser Schule verbracht und kannte die Gepflogenheiten und selbst manche der aktuellen Kämpfer dort. Ich hingegen hatte wenig zu tun und lag mit Nandurin im Garten. Während der Kleine entspannt im Schatten einer Palme döste (die Küchenmagd hielt sich dezent im Hintergrund und für den Bedarf auf Abruf bereit) lag ich in einer Hängematte und schmökerte nebenbei ein wenig in Marwans Tagebuch, das ich ja auch noch hatte. Wobei die Lektüre bisher weder besonders erhellend noch spannend war, so dass ich selbst fast eingedöst wäre. Mutter hatte sich mit Liliana aufgemacht um für ein nahendes Fest – bei wem genau sie schon wieder eingeladen waren war mir eigentlich recht egal, solange ich nicht mit musste – neue Abendkleider einzukaufen. Das würde länger dauern, und dabei brauchten sie weder mich noch konnten sie einen quengelnden Säugling dabei brauchen. Mein erster Gedanke als im Hof vor der Gartenmauer der Kies knirschte was, dass sie aber ungewöhnlich bald wieder zurück waren für so ein vorhaben. Als ich Stimmen hörte die kurz diskutierten aber auf die Entfernung nicht genau zu verstehen waren wurde ich aufmerksamer und lauschte. Ich hatte ja mittlerweile ein recht feines Gehör entwickelt, was wohl dem Umstand geschuldet war das mein Leben mehr als einmal davon abgehangen war nicht überrascht zu werden. Auf jeden Fall wunderte ich mich über das näherkommen leichter Schritte wie von einer nicht allzu großen oder schweren Person über den Kies im Hof und dann das rascheln des Grases im Garten. Ich erhob mich und blickte verwundert auf Visaria, die in ein hellgelbes, knapp geschnittenes Kleid gehüllt auf mich zuging, dabei lächelte und auf den schlafenden Nandurin herabblickte. Sie meinte, da hätte es wohl ein Missverständnis mit Liliana gegeben, denn sie wären heute verabredet gewesen, aber der Majordomus meinte, ich sei der Einzige der Familie, der derzeit im Hause wäre. Ich drückte ihr mein Bedauern aus, dass sie nun den Weg zu uns umsonst auf sich genommen hatte, aber sie lachte nur kurz und erwiderte dann, wenn sie schon einmal hier sei und außer mir keiner da, dann würde ich ihr eben Gesellschaft leisten müssen. Dabei blickte sie mich aus ihren schelmischen Augen an in denen ein herausforderndes Funkeln stand. Mein Blick schweifte hinüber zu Nandurin, was sie natürlich sofort bemerkte. Aber der Kleine sei doch kein Problem, ihn könnten wir ja einfach mitnehmen. Was ich davon hielte sie zu einem kleinen Einkauf auf den Basar und anschließend in eine Teestube zu begleiten. Innerlich seufzte ich. Das mit dem ruhigen Vormittag hatte sich also erledigt. Auf der anderen Seite… hatte ich wieder dieses angenehme kribbelnde Gefühl im Bauch, das sich sonst nur einstellte, wenn ich jemanden – also eine Frau – sehr mochte. Warum eigentlich nicht? Ich legte das Buch zu Seite, nahm Nandurin der einfach weiterschlief, und bald darauf saßen wir in Visarias Kutschte die uns den Berg hinab zum Tulamidenbasar brachte. Auf der Fahrt betrachtete ich verstohlen ihre wohlgefällige Gestalt. Sie war wirklich hübsch. So jung und unschuldig. Ich musste unterwegs mehr als einmal schlucken, während sie munter vor sich hin plappernd Geschichten aus ihrer Familie erzählte. Von den letzten Festen zu denen sie mittlerweile auch gehen durfte, sie war ja mittlerweile quasi Erwachsen. Den Galanen, die ihr den Hof machten aber sooooo langweilig und uninteressant waren, noch nichts von der Welt gesehen hatten. Wie sehr sie sich mit Liliana verstand, fast schon als Teil unserer Familie fühlte. Wie bezaubernd Nandurin war, der sie ja schon erkannte wenn sie kam und sich freute… und so weiter. Ich war etwas verwirrt. Was war das für eine Art der Konversation? So etwas war mir bisher Fremd. Die meiste Zeit lies ich sie reden, hatte ich doch eher wenig zu erwidern, aber das schien sie in ihrem Redefluss nicht zu stören. Und ständig lachten mich ihre Augen und ihr hübscher kleiner Mund an als wollten sie mich zu etwas auffordern oder mir etwas ganz anderes mitteilen.

Auf dem Basar ging es dann nahtlos so weiter. Wir schlenderten durch die Stände, betrachteten hier ein paar Schleier, dort etwas Schmuck oder einige fein geschnittene Gewänder während sie redete. Es war seltsam, irgendwie hatte ich die ganze Zeit das Gefühl beobachtet zu werden, konnte aber den Ursprung dessen nicht ausmachen. So war ich gleichzeitig höchst aufmerksam, aber zu Visaria hin wiederum etwas abgelenkt. Wurden wir verfolgt? Oder hatte einer ihrer Leibwächter den Auftrag uns dezent zu folgen? Dann tat er das jedenfalls erstaunlich gut. Ganz sicher sein konnte ich mir jedenfalls nicht. Nandurin war mittlerweile erwacht und gluckste vor sich hin, was Visaria zum Anlass nahm mit ihm zu schäkern und ihn mir schließlich aus dem Arm nahm um ihn selbst zu tragen und zu herzen. Als wir so weiter über den Basar gingen hielt uns an einer Hausecke ein abgerissen aussehender Bettler auf. Nicht offensiv natürlich, das hätte sich keiner der Fanas getraut, einen Magus oder eine Silberbergerin offen anzubetteln oder gar anzufassen. Das hieße ja, die Schläge etwaiger Wächter geradezu herauszufordern. Nein, dieser verschaffte sich auf so individuelle Art mein Gehör, das mir glatt der Mund offen stehen blieb. „Herr, hübsche Herrin, habt Erbarmen mit einem armen alten Mann. Seid so gut und teilt Euer junges Glück mit einem, mit dem es das Schicksal nicht so gut gemeint hat wie mit euch. Gebt eurem Herz einen Ruck Herr Magier, in Travias nahmen, und zeigt eurer so hübschen jungen Frau und eurem Kind, dass ihr ein guter Mann seid. Nur eine kleine, milde Gabe. Und ihr, gute Frau, seid hübsch wie Rahja selbst, man sieht ja gar nicht, dass ihr erst kürzlich diesem herzallerliebsten Kinde das Leben geschenkt habt.“ Visaria strahlte mich an, dass es mir schier den Atem verschlug während sie Nandurin stolz hielt. Mir muss wohl im ersten Moment wirklich die Kinnlade heruntergefallen sein. Wir? Eine Familie? Wie konnte dieser… natürlich konnte er. Was sonst sollte es für einen Eindruck machen wenn wir beide so vertraut durch die Straßen schlenderten und sie mein Kind im Arm hielt. Wenn der Kerl wüsste… aber natürlich konnte er das nicht. Niemand außer einer Hand voll Leute konnte wissen was wirklich passiert war, und davon war niemand hier in Al’Anfa. Ich war so perplex, das meine Hand wie von selbst in die Tasche glitt und ein funkelndes Silberstück hervorbrachte, wohl weil sie sonst gar nicht wusste was sie hätte tun sollen und mein Geist durch ganz andere Gedanken abgelenkt war und keine anderen Anweisungen zu geben in der Lage war. Wortreich wünschte uns der Bettler einen schönen Tag und alles Glück Deres für unsere kleine Familie als wir weitergingen. Kaum waren wir an dem Alten vorbei fing Visaria an zu kichern und warf mir wieder diese seltsamen Blicke zu. Anscheinend hatte dieser Bettler einen Nerv bei ihr getroffen und sie war anscheinend mehr als zufrieden mit allem, denn das Strahlen ihres Gesichts stellte fast schon die Praiosscheibe in den Schatten. Aber dieses Mädchen konnte doch wohl nicht etwa in mich verliebt sein, oder? Das konnte politisch höchst brisant werden. Nicht solange alles gut ging meine ich, aber nichts war schlimmer als die Rache einer zurückgesetzten oder verschmähten Frau, insbesondere wenn sie aus einer mächtigen Familie stammte. Wenn sie nicht so verdammt süß gewesen wäre… In mir stritten sich gerade mein Magen, dem schon ganz flau zumute war und in dem ein Schwarm Ikanaria-Schmetterlinge zu flattern schien gegen mein Hirn, in dem alle Alarmglocken zu kreischen begannen. Was ein rachsüchtiges Weib zu tun imstande war hatte ich ja gerade erst erleben müssen. Mittlerweile waren wir in einer Teestube angekommen und hatten auf Kissen platzgenommen. Wir ließen uns gesüßten Tee, etwas Gebäck und für Nandurin Milch mit Honig bringen, dazu ein paar gekühlte Früchte. Während Nandurin sich auf Visarias Schoß recht wohlzufühlen schien und lustig krähte wenn sie ihn schüttelte stieß ihr Knie immer wieder wie zufällig gegen das meine. Zum Glück war ich von dunkler Hautfarbe, da fiel mein erröten deutlich weniger auf als bei diesen blasshäutigen Nordländern – und dann fielen mir wie Schuppen von den Augen Visarias ebenfalls recht stark gerötete Wangen auf, jedesmal wenn sie mich wie ausversehen anstupste. Ein Augenblick, in dem ich mir die Kenntnis der Formel Eiseskälte Kämpferherz sehnlichst gewünscht hätte um diese verdammten Schweißausbrüche zu unterbinden. Auf wundersame Weise holte uns etwas später tatsächlich Visarias Kutsche direkt an der Teestube ab. Jetzt war ich mir fast sicher, dass wir einen Wächter irgendwo hatten, aber gesehen hatte ich ihn nicht, auch wenn ich seit dem Vorfall mit dem Bettler auch gar nicht mehr drauf geachtet hatte. Den Rückweg verbrachten wir fast schweigend in stiller Ruhe die Anwesenheit des Anderen genießend, wohl wissend das dieser kurze Moment bald vorbei sein würde, wenn wir wieder bei der Villa meiner Familie ankommen würden. Irgendwie war alles, was wir in diesem Moment versuchten zu sagen unangemessen, so ließen wir es einfach bleiben. Etwa auf halber Strecke, ich weiß gar nicht welcher Dämon in mich gefahren war um mir diese Torheit und den Mut einzugeben, legte ich vorsichtig meine Hand auf Visarias Arm, halb erwartend das sie sie entrüstet wegstoßen würde. Aber nichts dergleichen geschah, sie ließ es einfach zu und lächelte mich dabei an, ihre Zähne im halbschatten der Kutsche leuchtend wie Perlen. Als wir ankamen begann der Zauber des Augenblicks gerade zu verfliegen. Ich stieg aus, fragte sie noch ob sie mit herein kommen wollte um auf Liliana zu warten, aber das verneinte sie. Sie hatte immer noch Nandurin im Arm und ich beugte mich noch einmal in die Kutsche, um ihr den Knirps abzunehmen, halb enttäuscht das sie schon gehen wollte, als sie sich, ungesehen von allen außerhalb der Kutsche, vorbeugte, mir Nandurin in den Arm legte und dabei einen zarten Kuss auf die Backe hauchte der sich anfühlte wie das schlagen von Schmetterlingsflügeln und mir gleichzeitig einen Schock durch den Körper jagte, wie sich sonst wohl nur ein Kulminatio Kugelblitz anfühlen konnte. Verwirrt aber widerwillig zog ich mich mit Nandurin aus der Kutsche zurück, mein Blick gefangen in ihren tiefen Augen, bevor sie wie ein kleines Mädchen lachte das ein Spiel gewonnen hatte und mir zum Abschied zuwinkte, während ihre Kutsche in einer Staubfahne davonfuhr. Sinnend stand ich noch eine ganze Zeit im Hof, bis ich mich eines besseren Besann und Nandurin zu seiner Amme brachte. Ich glaube, er musste wieder einmal gewickelt werden und brauchte bestimmt etwas zu essen, während ich meine Gedanken sortierte. Später am Abend sprach ich Liliana darauf an, dass sie ihre Verabredung mit Visaria verpasst hätte, ohne näher darauf einzugehen. Aber Liliana schwor Stein und Bein, dass sie für heute nichts ausgemacht hatten, sonst hätte sie sie auf jeden Fall mit zum Kleiderkaufen genommen, das wäre noch viel lustiger geworden, als es eh schon gewesen war, wobei sie mir Stolz ihre „Beute“ präsentierte, eine erlesene Auswahl ausgesprochen atemberaubender Kleider. Sollte dieses kleine Luder Visaria das etwa alles geplant und eingefädelt haben? Aber der Bettler passte da nicht ins Bild. War der dann Zufall und nur der Rest arrangiert? Und wenn ja, warum? Irgendwann maulte mich Liliana an, ich solle gefälligst nicht mit meinen Gedanken abschweifen sondern sie bewundern, wenn sie sich schon solche Mühe gab mir zu zeigen wie hübsch sie in den neuen Kleidern aussah, was meine Konzentration zwangsweise auf sie fokussierte und mich so – zumindest vorübergehend – von meinen eigentlichen verwirrten Gedanken ablenkte.

 

Als letztes und, so hoffte ich zumindest, aufschlussreichstes Werk hatte ich mir das Liber Metelesae aufgehoben. Die Autorin und begnadete Illusionistin die dieses Buch verfasst hatte kannte ich sogar persönlich, hatte sie doch in meinen jungen Jahren noch selbst in Al’Anfa gelehrt. Von ihr hatte ich die Formel des Aureolus erlernt, wenn auch sonst nichts weiter. Heute war sie selbst Spektabilität soweit ich wusste, in Zorgan glaube ich. Und alles was uns in Al’Anfa davon geblieben war, war einer ihrer aufgeblasenen Schüler. Ein eitler Kerl namens Amado de Todos, dem sein Aussehen mehr galt als seine magische Begabung – Widerwärtig! Aber natürlich passend für einen Illusionisten, mehr scheinen wollte als er wirklich war. Auf jeden Fall ging ich vor diesem Hintergrund das Studium des Buches mit großem Eifer an. Und tatsächlich enthielt es mehr als man auf den ersten Blick vermuten konnte. Profunde Kenntnisse aller möglichen Illusionen. Erklärungen zum Wesen und dem Erkennen der Phantasmorgica. Ihr Nutzen und wo sie einzusetzen ist. Meisterthesi von unschätzbarem Wert für den Magier von Stand, der sich einen kleinen Vorteil verschaffen wollte. Ich machte mich begeistert an die vorbereitenden Konzentrationsübungen und ersten Matrizen. So schwer war das herumillusionieren gar nicht. Eigentlich sogar recht einfach, wenn man es mit der Beschwörerei verglich. Ich brauchte kaum einmal mehr als ein paar Tage, um eine neue Formel zu lernen. Natürlich, ohne ausreichende Übung waren die Ergebnisse noch recht bescheiden, wenn auch sichtbar. So zeigte ich meinen Fortschritt auch nur den einzigen Zuschauern, die mich nicht sofort verlachen würden, wenn etwas nicht auf Anhieb klappte, aber dafür umso begeisterter applaudierten, wenn ich es schaffte ein Funkeln, eine Phantomstimme oder ein Leuchten zu erzeugen. Liliana, Amando und Nandurin waren mein dankbares Publikum an denen ich gleichzeitig übte und die ich mit meinen laienhaften Illusionen unterhielt. Irgendwann ging ich dazu über abends, aber nur wenn wir alleine waren, Abenteuergeschichten für die Kinder und Liliana zu erzählen. Und Abenteuer hatte ich ja genug selbst erlebt, musste diese nur hier und da ein wenig ausschmücken, und untermalte diese Geschichten an passender Stelle dann mit einem magischen Effekt. Flammende Zeichen an der Wand genauso wie die gruselige Stimme eines Dämons oder die unscharfen Bilder, die ich noch in Erinnerung hatte, wie beispielsweise von unserer Ankunft auf der Schatzinsel mit dem Vulkan oder von den Decks der Schiffe auf denen ich gefahren war und Efferds weitem Ozean dahinter. So war die Zeit nicht nur Lehrreich für mich, sondern sogar unterhaltsam für uns alle, in der ich aus dem Buch die Formeln des Auris Nasus, der Mutter aller Illusionen, des Favilludo, des Menetekel Flammenzeichen und des Vocolimbo hohler Klang und selbst des Delicioso Gaumenschmaus erlernte. Letzteren brachte ich meinen Zuhörern nahe indem ich einfaches Wasser immer wieder nach anderen Dingen schmecken ließ, obwohl sie genau wussten, dass sie nur Wasser vor sich hatten. Darüber gingen weitere 3 Monde ins Land, die eine wunderbare Zeit waren. Unnötig zu erwähnen, das auch Visaria immer häufiger ein Gast in unserem Haus war, die mir schmachtende Blicke zuwarf, was Liliana jedesmal zu kichern oder sogar Lachanfällen trieb. Wusste sie von dem Ausflug auf den Basar, oder hatte Visaria dieses Geheimnis für sich behalten? Ich wusste es nicht, musste mir aber von meiner Schwester dann wenn Visaria wieder fort war jedes Mal zweideutige Kommentare gefallen lassen während sie mich in die Seite knuffte. Aber ein erneuter zweisamer Augenblick blieb uns, bei Rahja wie sehr ich dies jetzt bedauerte, verwehrt. So vergingen die Monde, Nandurin wuchs und gedieh. Irgendwie passierte das bei so kleinen Kindern erstaunlich schnell, das hatte ich bisher gar nicht so bewusst wahrgenommen. Oder wirkte da noch eine Spur vom Wunder des Namenlosen? Aber wahrscheinlich nicht, denn Mutter die genug Erfahrung damit hatte wirkte auch nicht besorgt. Und langsam machte sich wieder diese Unruhe in mir breit, dieses sehnen nach neuen Erfahrungen das mich immer wieder erfasst hatte, bevor Aves und Efferd meine Schritte in die Ferne gelenkt hatten. War es bald wieder soweit? Und wenn ja, wo wollten sie mich hin haben? Oder sollte ich diesmal verharren und in Al’Anfa bei meinen Lieben  - und Visaria – bleiben? Hätte Satinav mir nur die Gabe der Vorausschau geschenkt. Aber das hatte er nicht, und so konnte ich die Zukunft nur auf mich zukommen lassen. Mögen die Götter geben, dass es eine glückliche sein würde.

 

Dieser Eintrag wurde am 2.02.2019 (10:47) verfasst und 520 mal aufgerufen.
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